Korona
waren mit Staub und Sand bedeckt. In einer Kuhle tief in einem schattigen Winkel des ehemaligen Flussbettes wuchs eine Pflanze, deren Stengel violette Blüten trug. Bei Berührung waren leise klingelnde Geräusche zu hören. Die Blätter der Pflanze waren schätzungsweise einen halben Meter lang und ragten wie grüne Zungen aus einer Felsspalte heraus. Amy trat näher und untersuchte den Riss. Er schnitt vertikal durch das Gestein und war augenscheinlich recht tief. Wie tief, war nicht zu erkennen, doch Amy gab nicht so leicht auf. Sie nahm einen Zweig und steckte ihn hinein. Ein leises Plätschern drang an ihr Ohr.
Sie versenkte den Zweig bis zum Anschlag und zog ihn wieder heraus. Die unteren zwanzig Zentimeter waren dunkel gefärbt. »Kommt mal alle her!«, rief sie. »Schnell!«
Karl war bereits oben angelangt und half Mellie und Dan auf den letzten Metern. »Hast du etwas gefunden?«
Triumphierend hielt sie den Zweig in die Höhe. »Wasser!«
Ray eilte herbei. »Du hast recht«, sagte er, und ein Strahlen huschte über seine trockenen Lippen. »Du hast tatsächlich Wasser gefunden. Und wie es scheint, eine ganze Menge.«
Jetzt kamen auch die anderen herbei. Neugierig blickten sie auf den Spalt. Mellie nahm einen Stock und stocherte darin herum. Sie zog ihn heraus und leckte an der Rinde. »Schmeckt ausgezeichnet«, sagte sie. »Frisches, klares Quellwasser. Kann man den Spalt irgendwie erweitern?« Sie versuchte, den Stock als Hebel zu benutzen, doch Karl hielt sie davon ab.
»Lieber nicht«, sagte er. »Wenn du den Spalt erweiterst, besteht die Gefahr, dass das Wasser nach unten abläuft. Was wir brauchen, wäre ein Schlauch.«
»Wie wär’s mit einem Trinkhalm?« Ray hatte eines der langen, zungenartigen Blätter abgerissen und zu einer dünnen Röhre gerollt. Er steckte sie in die Öffnung und saugte ein paarmal daran. »Hier«, sagte er. »Funktioniert prima.« Er reichte Mellie den Halm.
Es dauerte nicht lange und alle hatten ihren Durst gestillt. Das Wasser schmeckte köstlich, kein bisschen abgestanden oder moderig. Wie sich herausstellte, war der Spalt tiefer, als man von außen sehen konnte. Eine Überprüfung mit Amys ›Ölstab‹ hatte ergeben, dass der Wasserspiegel kaum abgesunken war, und das, obwohl jeder von ihnen ungefähr einen Liter getrunken hatte.
Ray holte ihre Wassersäcke heraus, fertigte aus mehreren ineinandergeschobenen Blattröhren einen durchgehenden Schlauch, saugte das Wasser an und ließ es in die Behältnisse laufen. Das Geräusch der plätschernden Flüssigkeit war überirdisch schön.
Fürs Erste waren sie gerettet.
»Problem Nummer eins gelöst«, sagte Amy mit einem zufriedenen Lächeln. »Fehlt noch die Nahrungsbeschaffung.«
»Wenn wir oberhalb der Steilwand nichts finden, müssen wir eben die Früchte, Beeren und Schoten testen«, sagte Karl. »Das ist zwar riskant und wird nicht ohne Magenschmerzen ablaufen, aber immer noch besser, als zu verhungern.«
»Verlockende Aussichten«, sagte Ray. »Hoffen wir, dass da oben ein McDonald’s oder etwas Ähnliches ist. Ich hätte nichts gegen einen schönen Burger einzuwenden.«
Jeder von ihnen trank noch mal einen Schluck, dann setzten sie ihren Aufstieg fort. Wie gewohnt übernahm Ray die Führung. Er verkeilte seine Hände und Füße in den Spalten im Stein und begann, hochzuklettern.
Erstaunlich, wie schnell sich die Dinge änderten, dachte Amy. Gestern noch war Ray für alle ein rotes Tuch gewesen, heute wurde er stillschweigend als Führungspersönlichkeit akzeptiert. Selbst Dan hatte keine Einwände, auch wenn er dem Iren nach wie vor mit Abneigung begegnete. Trotzdem kam es ihr in diesem Moment so vor, als habe jemand die Karten gemischt und allen ein neues Blatt gegeben.
Keine zehn Minuten später erreichten sie ihr Ziel. Ein schräger, zehn Meter langer Hang lag vor ihnen, dann waren sie oben. Der Hang war mit Geröll und kurzen Sträuchern bedeckt und er sah aus, als könnte man darauf leicht ins Rutschen geraten.
Amy half den anderen über die Kante und gönnte sich dann eine kurze Verschnaufpause. Sie war gerade dabei, einen Schluck aus Karls Wassersack zu nehmen, als ein Geräusch von oben kam. Ein dumpfer Knall, gefolgt von einer Reihe von Stimmen.
Menschlichen
Stimmen.
Ray reagierte als Erster. Er sprang auf und rannte den Hang hinauf.
Warte!,
wollte sie schreien, doch ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass sie die Gruppe damit in ziemliche Gefahr gebracht hätte. »Verdammt«, fluchte
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