Korona
sie aus der Gefangenschaft der Luftpiraten befreit hatten. Sein haselnussbraunes Fell war schmutzig und blutverkrustet. Neben ihm ging ein weibliches Tier, klar zu erkennen an ihren Brüsten und den deutlich schmaleren Schultern. Sie war vom Fell her heller und scheckiger. Auf dem Rücken trug sie ein Bündel, das Mellie zuerst für Feuerholz hielt, bis sie bemerkte, dass daraus zwei kleine Arme in die Luft ragten.
»Sie hat ein Baby«, flüsterte sie.
Ray nickte. »Ich sehe es. Ein gutes Zeichen. Scheint, dass sie uns nicht als Bedrohung empfinden.«
Das rechte Geschöpf war bei weitem am auffälligsten. Es war ein männliches Tier und augenscheinlich schon sehr alt. Es trug eine Art Schärpe, die sein Geschlecht halb verdeckte. Auf seinem Kopf thronte eine Haube, die aus Zweigen und Knochen bestand und ein wenig an den Kopfputz der Ureinwohner Papua-Neuguineas erinnerte. Eine Maske beschirmte seine Augen, doch darunter war ein breiter Mund und ein langer heller Bart zu erkennen. Sein Fell war struppig und kahl, und er bewegte sich langsam und unsicher. In seiner rechten Hand hielt er einen Stab, der ihm beim Gehen gute Dienste leistete. Mellie rückte an Ray heran. Die drei Wesen wirkten zwar nicht unbedingt bedrohlich, aber sie waren dennoch ziemlich ehrfurchtgebietend.
Als das Empfangskomitee auf fünf Meter herangekommen war, blieb es stehen. Ein penetranter Geruch von Schweiß und Urin stieg Mellie in die Nase. Aufmerksam und mit der gebührenden Skepsis standen die Affen da und begutachteten die Menschen. Mellie konnte hören, wie sie atmeten. Es war ein tiefes, kehliges Schnaufen, das hin und wieder in ein Grunzen mündete.
»Was machen wir jetzt?«, flüsterte sie.
»Ich würde vorschlagen, wir versuchen, uns mit ihnen zu verständigen.«
»Und wie willst du das anstellen?
Es sind Affen.«
»Das sind wir auch, wenn man es genau nimmt.«
Ray trat einen Schritt vor. Er senkte seinen Blick und gab ein Räuspern von sich. Es war ein Laut aus der Gorillasprache, der so viel bedeutete wie
: Alles in Ordnung, du brauchst dir keine Sorgen zu machen,
und Ray hatte den Ton wirklich gut getroffen.
Die Reaktion war verblüffend.
Die drei Geschöpfe schauten sich an, dann trat der mit der Schärpe vor. Als er auf zwei Meter an sie herangekommen war, stieß er eine Reihe gutturaler Laute aus. Mellie glaubte, sie habe sich verhört. »Das klang ja fast, als würde der reden.«
»Schien mir auch so.«
»Meinst du, er hat uns etwas gefragt?«
Ray zuckte die Schultern. »Wenn ja, dann vermutlich, wie wir heißen und was wir hier wollen. Ach, was soll’s, ich werde mal mein Glück versuchen.« Er stieß ein Räuspern aus und deutete auf seine Brust. »Mein Name ist Ray. Das hier sind Mellie und Karl.« Er wies auf den am Boden liegenden Meteorologen. »Er ist verletzt. Wir brauchen Hilfe«, fügte er hinzu.
Der Gorilla kam mit vorsichtigen Schritten auf sie zu, umrundete den Körper ihres Freundes und betrachtete die herausragende Harpune. Mit einem kehligen Laut rief er seine beiden Begleiter her. Der jüngere Gorilla und das Weibchen mit dem Baby näherten sich vorsichtig. Sie wirkten, als wären sie Menschen gegenüber nicht besonders freundlich eingestellt. Der Gorilla untersuchte Karl ausgiebig, dann zog er ein gewundenes Stück Holz unter seiner Schärpe hervor. Er setzte es an die Lippen und blies hinein. Ein tragender, kummervoller Laut stieg in die Luft und strich über die grasbewachsene Ebene.
Er war kaum verhallt, als Mellie hinter den Bäumen ein Segel emporsteigen sah. Ein Schiff! Es flog eine kleine Kurve und steuerte dann auf sie zu.
Kein Zweifel, es war ein Flugschiff, wenn auch wesentlich plumper und klobiger als das Schiff der Menschen. Der Rumpf war kaum mehr als ein grob behauener Baumstamm, in den man einen verdreht wirkenden Mast gesteckt hatte. Einige dunkelbraune Stofffetzen flatterten träge im Wind, aber angetrieben wurde es von einem primitiven Heckrotor.
Voller Verwunderung beobachtete Mellie, wie das Konstrukt langsam auf sie zutrieb. Es wirkte wie ein Schiff, das ein Siebenjähriger ohne praktische Erfahrung aus einem Stück Rinde zusammengeschustert hatte.
Als es nah genug war, regneten einige dicke Taue herunter, von denen sich weitere Affen zu ihnen herabschwangen. Keine fünf Minuten später standen Mellie und Ray einer Gruppe von sechs hochgewachsenen Primaten gegenüber, die mit großen Augen zu ihnen herüberstarrten. Der Schamane gab dem Schiffsführer ein Zeichen.
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