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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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wäre …«
    »Apropos Gorillas …« Wilcox spähte in Richtung des Waldes. »Ich bin vorhin ein Stück in Richtung der Pyramide gelaufen. Es ist wirklich erstaunlich. Sie scheinen das Gebäude komplett umstellt zu haben. Sie haben einen Kreis von vielleicht fünfhundert Metern Durchmesser gezogen, durch den niemand hinein- oder herauskommt. Die Pyramide ist hermetisch abgeriegelt.«
    »Was bezwecken sie damit?«, fragte Parker.
    »Keine Ahnung. Ich war jedenfalls nah genug dran, um zu sehen, dass der Kreis wie mit einem Lineal gezogen aussieht. Vorn stehen die Männchen, dahinter die Alttiere und Halbstarken, ganz außen die Weibchen mit ihren Kindern. Ich habe so etwas noch nie gesehen.«
    »Wie es scheint, sind die Gorillas nicht ohne Grund hier«, sagte Richard. »Sie spüren, dass eine Veränderung naht, genau wie wir. Wir sollten uns auf den Weg machen.«
    Schweigend begaben sich die Forscher hinein in den Wald. Ein kalter Wind hatte eingesetzt. Erste Schneeflocken tanzten durch die Luft und ließen sich auf Mützen und Jacken nieder. Vorboten des Sturms, der bald über sie hereinbrechen würde.

71
    D üstere Gedanken vor sich herschiebend, starrte Amy in den dunkler werdenden Himmel. Die kaiserliche Galeone hatte die
Stummen Hallen
verlassen und war – mit dem N’ekru an Bord – auf dem Weg zur Pyramideninsel. Teile zerbrochener Welten trieben an ihr vorüber und verloren sich schnell in der Ferne. Bruchstücke eines Landes, das einst heil gewesen war. Ein perfektes Spiegelbild ihres eigenen Seelenzustands.
    Alles in ihr war erloschen: die Hoffnung, das Lachen und die Lebensfreude. Man hatte sie entführt und verschleppt, und sie war Zeuge geworden, wie ein Freund vor ihren Augen umgebracht worden war. Getötet von einem Ding, dessen Anblick sie bis in ihre schlimmsten Alpträume verfolgen würde.
    Noch immer weigerte sich ihr Verstand, anzuerkennen, dass diese Kreatur, diese Ausgeburt einer pervertierten Natur, einmal ihr Geliebter gewesen war. Ein Mann, dem man trotz all seiner Schwächen und Makel ein gewisses Maß an Menschlichkeit nicht absprechen konnte. Oder irrte sie in diesem Punkt? Konnte es sein, dass er innerlich schon immer das Monstrum gewesen war, das jetzt unten im Laderaum darauf wartete zuzuschlagen? Vielleicht war es der Transformation zu verdanken, dass sein Inneres und sein Äußeres endgültig zu einer Einheit verschmolzen waren. So gesehen hatten die Kitarer Will geradezu einen Gefallen getan, als sie ihn von allen Zwängen und Einschränkungen, die die menschliche Gestalt ihm auferlegt hatte, befreit hatten. Endlich konnte er so sein, wie er schon immer gewesen war.
    Die letzten Stunden kamen ihr vor wie eine Reise in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele. Wie war es nur möglich, dass menschliche Kulturen sich in so etwas wie Kitara verwandeln konnten? Was trieb Menschen an, sich derartig auf die schiefe Bahn zu begeben? Sie musste an all die totalitären Systeme denken, die während der letzten hundert Jahre gewütet hatten: der Nationalsozialismus, der Stalinismus, der Maoismus, Idi Amin, Pol Pot und »Papa Doc« Duvalier. Wie ein Flächenbrand fegten die Diktatoren über die Erde und rissen ganze Staaten in einen Strudel aus Chaos und Gewalt. Was war es nur, dass Menschen von solchen Abgründen angezogen wurden? Wie konnte es sein, dass immer wieder Führer aus dem Boden schossen, denen man schon von weitem ansah, dass es ihnen nur um Macht und Gewalt ging?
    Offenbar hatte sich unsere Zivilisation noch immer nicht von ihrem Geburtstrauma erholt. Man durfte sich nichts vormachen: Oftmals genügte ein einziges Ereignis, um eine ganze Kultur zurück in eine zähnefletschende Urzeit zu stoßen, um aus normalen Menschen ein Rudel wilder Wölfe zu machen.
    Amy presste ihre Lippen aufeinander. Ray hatte recht gehabt mit dem, was er sagte.
Wir sind eine Spezies, die von Grund auf wahnsinnig ist.
Sie erinnerte sich, wie sie ihm widersprochen hatte, weil sie so gern an das Gute im Menschen glaubte. Doch wo stand sie jetzt?
    Sie musste tief durchatmen.
    Ein kleines Schiff kam ihnen von Steuerbord entgegen. Ein schlanker Flitzer mit breiten Auslegern und roten Markierungen. Sie runzelte die Stirn. Hatten sie den Kurs des Schiffes nicht vorhin gekreuzt? Sie meinte, sich an das markante Schlangensymbol zu erinnern.
    Das Fahrzeug ging längsseits und kam so nahe, dass sie die beiden Besatzungsmitglieder sehen konnte. Einen gedrungenen, dunkelhäutigen Kitarer und einen Gorilla.

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