Korona
euch, wenn ich rauche?«
Amy blickte durch den Rückspiegel nach hinten. »Mach aber das Fenster auf.«
»Auch eine?« Mellie hielt Ray die Schachtel hin, doch er verneinte. Um den Mund der Botanikerin erschien ein amüsierter Zug. »Ist nicht dein Ernst. Ein Knacki, der nicht raucht? Wo gibt’s denn so was?«
»Kennst dich wohl damit aus«, sagte Ray grinsend.
Sie zündete ihre Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Nicht wirklich. Nur was man so aus Film und Fernsehen erfährt. Mein Bruder war mal für kurze Zeit in U-Haft, wegen irgend so einer Bagatelle. Teenager halt. Er hat mir haarklein erzählt, was mit ihm geschah, und mächtig damit geprahlt.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Was mich betrifft, so hatte er Erfolg. Ich war jung und dumm und schwer beeindruckt von diesen harten Jungs mit ihren coolen Tätowierungen und ihrem Hang zum Kettenrauchen.«
»Es gibt Ausnahmen.«
»Und wie sieht’s mit Alkohol aus?«
»Nein.«
»Du verarschst mich.«
»Warum sollte ich?«
»Na hör mal, du bist doch Ire. Kennst du nicht den Spruch?«
»Welchen?«
»Dass Gott den Alkohol nur deshalb gemacht hat, damit die Welt nicht von Iren regiert wird.« Sie lachte.
»Lass gut sein, Mellie.« Amy warf ihr einen vorwurfsvollen Blick durch den Rückspiegel zu. »Das ist kein Thema für diese Fahrt.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Ray. »Besser sie erfährt es von mir, als dass es hinterher irgendwelchen Tratsch gibt.«
»Erfahren? Was denn?« Mellie rutschte so nah an Ray heran, dass ihre Oberschenkel sich berührten.
Sein Mund zeigte ein trauriges Lächeln. »Wenn du es genau wissen willst, ich hab fünf Jahre lang an der Nadel gehangen. Heroinsüchtig.« Er krempelte seinen Ärmel hoch und deutete auf eine Reihe von Einstichen in seinem Unterarm. Sie waren wegen der Tätowierungen schlecht zu erkennen, aber einige wiesen immer noch die typisch dunkelblauen Verfärbungen auf. »Unsauberes Spritzbesteck, siehst du? Ein kleines Souvenir aus Mountjoy.« Er spuckte die Worte regelrecht aus.
Amy blickte durch den Rückspiegel. »Wie sind Sie an die Drogen gekommen?«
»Die Aufseher haben sie im großen Stil an die Häftlinge verteilt und sich dabei eine goldene Nase verdient. Als die Öffentlichkeit davon erfuhr, kam es in Irland zu einem Aufschrei der Empörung. Der Skandal schlug Wogen, die bis in die höchsten Ebenen reichten. Es führte dazu, dass die gesamte Leitung von Mountjoy ausgetauscht wurde, einschließlich ihres Direktors Reginald T. Eldrich.« Ray lächelte bitter. »Ich kann mich noch gut an die Beifallsstürme und das Freudengeheul erinnern, als die alte Drecksau abdanken musste. Es war ein Tag, wie ihn Mountjoy noch nicht gesehen hatte. Das ganze Gefängnis hockte an den Fenstern und sah zu, wie der kleine Sadist gramgebeugt in seinen dunkelblauen Mercedes stieg und davonfuhr, begleitet von Schmährufen, Beifallsstürmen und einem Baldachin aus Klopapierrollen.«
»Und dann?«
»Kalter Entzug«,
er lächelte grimmig. »Ein viel zu harmloser Begriff für diese Hölle. In Ärztekreisen war man übereingekommen, nur in extremen Fällen Methadon zu verabreichen. Die meisten Insassen mussten zusehen, wie sie mit ihrer Sucht allein fertig wurden. Eingesperrt, von Verzweiflung und körperlichen Schmerzen beinahe in den Wahnsinn getrieben, erfuhr jeder von uns die Grenzen seiner Belastbarkeit.« Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort. »Vierzig Häftlinge starben während des kommenden halben Jahres, die meisten von ihnen während der ersten vierzehn Tage. Teils aus Schwäche, teils weil sie aufgaben.« Er zuckte die Schultern. »Ich glaube aber, wir hätten alle wieder genau gleich gehandelt, wenn wir vor der Wahl gestanden hätten.« Er verstummte. »Menschen sind unglaublich schwach. Das wird einem erst richtig bewusst, wenn man in einer solchen Einrichtung gewesen ist.«
Amy sah ihn durch den Rückspiegel aufmerksam an. »Sie haben nicht viel Vertrauen in die Menschen, oder?«
»Nein.«
Sie schwieg.
Er suchte Augenkontakt, doch sie wich seinem Blick aus. »Sind Sie anderer Meinung?«
»Allerdings. Die Menschen sind im Grunde gut und anständig … zivilisiert.«
Er nickte. »Sicher. Wenn die Maschinen arbeiten und man die Polizei rufen kann. Aber wenn man ihnen das wegnimmt, wirft man sie in die Dunkelheit. Sie bekommen es mit der Angst zu tun, und dann gibt es keine Regeln mehr. Dann können Sie sehen, wie primitiv sie werden. Binnen weniger Tage fallen sie zurück in die
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