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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Außer dem Knarren der Seile und dem Krächzen der Krähen war nichts zu hören. Kein Lachen, kein Gesang, kein Kinderschreien. Nichts, was irgendwie darauf hindeutete, dass eine größere Ansiedlung in der Nähe war. Als läge ein Leichentuch über diesem Tal.
    Schnaufend und schwitzend erreichten sie den ersten Felsvorsprung. Von dort aus wurde es leichter. Sie gingen über morsche Balken und wackelige Stiegen, aber wenigstens mussten sie nicht mehr senkrecht die Felswände hochklettern. Die meisten der Stufen waren einfache Holzbalken, die seitlich in die lehmige Wand getrieben worden waren, und hin und wieder mussten sie Brücken überqueren, die von zerfransten und ausgebleichten Seilen gehalten wurden. Ray zweifelte, dass die Konstruktionen für das Gewicht eines Durchschnittseuropäers ausgelegt worden waren, doch wie durch ein Wunder hielten sie und brachten die Gruppe wohlbehalten an ihr Ziel – ein Steilhang, der den Großteil der Stadt beherbergte. Eine hölzerne Palisade, in deren Mitte eine Art Stadttor erkennbar war, umgab die Gebäude. Wachtürme flankierten das hölzerne Bauwerk.
    »In einem Punkt hatte der Offizier zumindest recht«, keuchte Ray. »Besonders einladend wirkt die Siedlung nicht.«
    Der Alte humpelte zu einer der Wachen und begann, mit ihr in einer abgehackt klingenden Sprache zu reden. Während er sprach, deutete er immer wieder auf die Besucher.
    »Verstehen Sie ein Wort von dem, was er da sagt?«, fragte er die Biologin.
    Amy schüttelte den Kopf. »Es gibt in Uganda über fünfzig verschiedene Sprachen, die meisten davon in den Grenzgebieten. Ich glaube, es ist
Rutooro,
die offizielle Sprache des Königreichs von Tooro. Eine sehr exotische alte Sprache.« Mit einem Kopfnicken deutete sie auf einen der Posten. »Apropos exotisch: Werft mal einen Blick auf den Wachposten.«
    Der Krieger war schwer bewaffnet. Speer, Axt, Brustharnisch, Arm- und Beinschützer und ein prächtiger Helm mit Federaufsatz.
    Noch verblüffender aber war sein Gesicht. Hinter einer Schicht aus Kalkfarbe und Holzkohlebemalungen bemerkte Ray weibliche Züge. Große Augen, hohe Wangenknochen und volle Lippen. Kein Zweifel, es war eine Frau.
    »Das ist ja eine richtige Amazone«, flüsterte Karl. »Seht euch bloß ihren hohen Wuchs und die breiten Schultern an. Beinahe äthiopisch.«
    »Achtet mal darauf, wie unterwürfig der Mann ihr gegenüber ist«, erwiderte die Biologin. »Scheint, als ob der Offizier mit dem Matriarchat doch recht gehabt hätte.«
    »Stellt euch nebeneinander, damit ich zwischen euch hindurch ein paar Aufnahmen schießen kann«, flüsterte Mellie. »Diese Frau sieht wirklich sensationell aus.«
    »Lass dich bloß nicht erwischen.« Ray warf ihr einen warnenden Blick zu. »Ich glaube, mit der ist nicht zu spaßen. Sieh dir mal ihre Halskette an.«
    Die Amazone trug ein geflochtenes Band, an dem eine Reihe von kleinen weißen Knochen baumelten.
Fingerknochen,
um genau zu sein. Ihrer Größe nach zu urteilen von Kindern. Mellie ließ sich jedoch nicht abwimmeln, sondern schoss eine ganze Reihe von Aufnahmen.
    Endlich beendete die Kriegerin das Gespräch mit dem Mann und kam auf sie zu. Wortlos musterte sie die Mitglieder der Gruppe. Amy und Mellie erhielten ein knappes Lächeln, während Dan und Karl mit einem abschätzigen Blick bedacht wurden. Nur Ray schien es wert zu sein, länger in Augenschein genommen zu werden. Sie betrachtete seine Muskeln und Narben, dann nickte sie. Mit einem Wort, das Ray nicht verstand, machte sie kehrt und öffnete das Tor.
    »So weit, so gut«, murmelte er. »Jetzt wird’s spannend.«
    Schon kurz hinter der Palisade wurde allen klar, dass der Blick von unten nur ein unzureichendes Bild geboten hatte. Die Anlage war in eine Vielzahl von Terrassen untergliedert, die durch Leitern, Treppen und Brücken miteinander verbunden waren. Dort, wo der Abbruch besonders steil war, hatte man hölzerne Plattformen errichtet, die nur mittels aufwendig konstruierter Gondeln erreichbar waren. Überragt wurde die Stadt von einem mächtigen Felsvorsprung, auf dem ein einziges, kuppelartiges Gebäude stand. Seine Größe ließ darauf schließen, dass hier das Oberhaupt der Bugonde residierte.
    Im Stadtkern lebten fast ausschließlich Mädchen und Frauen. Ganz selten, dass ein Mann zu sehen war und wenn, dann nur ärmlich gekleidet und gebeugt unter dem Gewicht irgendwelcher Lasten. Die Frauen hingegen waren in prachtvolle Gewänder gehüllt und trugen kunstvoll geflochtene Hauben

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