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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sie leben. »Hier stimmt etwas nicht«, flüsterte er. »Ich spüre es ganz deutlich.«
    Er fasste Mellie bei der Hand und zog sie mit sich. Karl und Dan folgten ihnen auf dem Fuß.
    Sie hatten die Halle erst zur Hälfte durchquert, als ein grelles Licht durch die Öffnung in der Decke zuckte. Es war von solcher Helligkeit, dass Ray seine Augen schließen musste. Sterne tanzten auf seiner Netzhaut.
    »Was zum Henker … «
    Weiter kam er nicht. Ein ohrenbetäubendes Krachen fuhr durch die Pyramide. Der Fußboden erzitterte. Staub rieselte von der Decke. Bruchstücke der Innenverkleidung fielen von den Wänden und stürzten laut krachend auf den Steinboden. Einen kurzen Moment war Ray wie gelähmt, dann schrie er: »Ein Erdbeben! Raus hier!«
    Karl, Mellie und Dan standen da wie angewurzelt.
    »Habt ihr nicht gehört? Macht, dass ihr hier rauskommt. Bringt euch in Sicherheit.« Endlich kam Bewegung in die Gruppe. Angstvoll stöhnend, die Rucksäcke über die Köpfe haltend, rannten alle in Richtung Ausgang.
    Ein weiteres Mal wurde die Halle von Helligkeit erfüllt, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Elektrische Entladungen zuckten über die Wände. In wirren Kaskaden ergossen sie sich über den schwarzen Stein und brachten ihn zum Glühen. Ein stechender Geruch stieg ihnen in die Nase. War das Ozon? Der Boden unter ihren Füßen bäumte sich auf wie ein junges Pferd. Die Botanikerin stürzte auf die Knie. »Was ist das?«, kreischte sie.
    »Keine Ahnung. Komm weiter!« Ray zog sie auf die Füße und aus der Pyramide heraus. Er wusste nur eines: Wenn sie hier nicht bald weg waren, würden sie alle sterben.
    Das Elmsfeuer nahm an Heftigkeit zu. Leuchtende Würmer zuckten über die Felsen und machten eine Orientierung unmöglich. Alles schien sich aufzulösen. Was fest war, wurde durchscheinend, was dunkel war, hell. Ray glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Was für ein Teufelswerk war das? Er unternahm eine letzte Anstrengung, die rettende Tür zu erreichen. Helles Licht strömte ihm entgegen. Eine Art gleißende Sphäre versperrte ihnen den Weg, doch was es auch war, sie mussten hier heraus. Mellies Hand haltend, durchbrach Ray die leuchtende Wand und rannte ins Freie. Sein Körper fühlte sich an, als würde er in tausend Teile zerspringen. Der schwarze Stein leuchtete unnatürlich hell. Abgehackte Bilder flimmerten vor seinen Augen. Immer wieder waren andere Perspektiven des Gebäudes zu sehen. Mal erblickte er es von oben, dann wieder von der Seite, mal sah er es mit Vegetation, dann wieder ohne. Die steinige Oberfläche der Pyramide zerbarst in ein Crescendo flirrender Einzelaufnahmen. Es sah fast aus, als würde jemand ein Daumenkino ablaufen lassen. Dazu ein ohrenbetäubendes Heulen, das die Luft erfüllte. Nicht wie das Heulen von Signalhörnern oder Wölfen. Eher so, als würde irgendwo Luft entweichen. Er machte kehrt.
    Inmitten dieses infernalischen Szenarios machte er plötzlich einen ruhigen Punkt aus. Eine dunkle Gestalt trat aus der Pyramide. Riesig und übermächtig schimmerte sie im gleißenden Licht der Blitze. Ray musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu schreien. Was da im Eingang der Pyramide stand, war ein N’ekru. Groß, muskelbepackt und grün geädert sah es aus wie ein deformierter Mensch, dem man die Haut vom Fleisch gezogen hatte. Nach vorn gelehnt und auf seine mächtigen Arme gestützt, stand die Kreatur ein paar Augenblicke so da, die Nüstern witternd in den Wind haltend, dann drehte sie ab und taumelte mit seltsam unkoordinierten Bewegungen in den Wald.
    Ray fühlte, wie ihm die Sinne schwanden. Ohnmächtig kippte er vornüber in den Schnee.

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    Teil  2
    Der Atem des Windes
    28
    D as Erste, was Karl spürte, war Wärme. Sie kroch über seine Beine, seinen Rücken, seinen Nacken. Sie streichelte seine Schultern und Arme und liebkoste seine Haare wie eine zärtliche Frau.
    Vorsichtig versuchte er sich zu bewegen. Zuerst die Füße, dann die Arme. Er streckte seine Hände aus und berührte trockenes Laub. Vogelgezwitscher drang an sein Ohr. In der Luft hing ein scharfer Geruch wie nach Ammoniak oder Ozon. Sie war regelrecht getränkt damit.
    Langsam hob er den Kopf. Das schreckliche Unwetter war verschwunden und hatte einem strahlend hellen Himmel Platz gemacht. Links von ihm, nur etwa vier Meter entfernt, entdeckte er die ausgestreckten Körper von Mellie und Dan. Noch ein Stück weiter war Amy zu sehen. Die Biologin lag halb verdeckt hinter einer

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