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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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religiöser Zeremonien.
    »Wundervoll«, flüsterte Mellie, während sie einen Abschnitt betrachtete, auf dem die Gewinnung und Verschiffung von Erz dargestellt war.
    »Wie ein Bilderbuch aus längst vergangenen Tagen.«
    »Was mag wohl der Zweck dieses Gebäudes gewesen sein?« Karl stand in der Mitte des Saals und blickte senkrecht nach oben. Der Scheitelpunkt der Pyramide befand sich in etwa zehn Metern Höhe. Der Schlussstein fehlte, so dass trübes Tageslicht einfiel. Lichtgarben durchkreuzten die Kuppel. Durch die seitlichen Schächte drangen Unmengen von Lianen und Kletterpflanzen.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Dan. »Ein Versammlungsort oder eine Zeremonienhalle. Wer kann das schon sagen?«
    »Kommt mal hier rüber.« Mellie war ein Stück vorausgegangen und beleuchtete einen bestimmten Abschnitt des Reliefs. Ihr Gesichtsausdruck schwankte zwischen Faszination und Abscheu.
    Die drei Männer eilten zu ihr und ließen das Licht ihrer Lampen über den schwarzen Stein gleiten. Was sie entdeckt hatte, war wirklich aufsehenerregend. Das Relief zeigte einige der Pflanzenwesen, wie sie in der Hütte der Schamanin zu sehen gewesen waren, und ihre Schöpfer. Im Gegensatz zu der Skulptur waren es aber diesmal keine Einzeldarstellungen, sondern ein Kunstwerk, das im Zusammenhang mit den umgebenden Bildnissen Rückschlüsse auf die Bedeutung dieser Kreaturen zuließ. Was als Erstes auffiel, war ihre enorme Größe. Verglichen mit ihnen, waren die Menschen nur etwa halb so groß. Sie tanzten um die Wesen herum, verbeugten sich und brachten ihnen Opfergaben: Schalen mit dem Blut erlegter Tiere, die man kopfüber an Bäume gehängt hatte. Es gab aber auch Menschenopfer. Mellie hatte eine Darstellung entdeckt, bei der eine dieser Pflanzenkreaturen einen Mann regelrecht aussaugte. Angewidert blickte Ray auf die Szene, in der die Kreatur seine Wurzelarme um den Mann legte und ihn so lange auspresste, bis nur noch eine leere Hülle zurückblieb.
    »Was für ein grauenhafter Kult«, murmelte Karl, dem trotz der Kälte die Schweißperlen auf der Stirn standen.
    »Ist sicher alles mythologisch«, sagte Dan. »Ein farbenfrohes Märchen, ähnlich der altenglischen Sage von Beowulf und seinem Kampf gegen Grendel. Nichts, wovor man Angst zu haben braucht.«
    »Hier drüben wird es noch farbiger«, sagte Ray, der ein paar Schritte vorausgegangen war. »Seht euch das mal an. Könnte es sein, dass diese Monstrosität eine Art Kriegerkaste ist? Hier führen sie einige fliegende Schiffe in den Kampf gegen ein paar bucklige, affenähnliche Gestalten. Seht mal, eine dieser Kreaturen nimmt es mühelos mit drei Gegnern gleichzeitig auf.«
    »Was ist denn das hier?« Karl deutete auf eine kleine Gestalt auf einem der Flugschiffe. Es war eine Frau, unschwer zu erkennen an ihren kleinen Brüsten und ihrer Scham. Sie trug einen merkwürdigen Kopfputz, der sie deutlich von den anderen unterschied. »Sieht aus wie eine Priesterin oder Königin, findest du nicht?« Er blickte Mellie erwartungsvoll an. »Ähnelt der Kopfschmuck nicht dem, den du bei der Hexenmeisterin gesehen hast?«
    »Er ist praktisch identisch«, flüsterte Mellie. »Dieselben Proportionen, dieselbe Symbolik. Ich beginne mich wirklich langsam zu fragen, in was wir hier hineingeraten sind.«
    »Hab ich doch schon gesagt«, erwiderte Dan genervt. »In eine große Märchenstunde. Wesen, die halb Mensch und halb Pflanze sind, Kriegerköniginnen und fliegende Schiffe, ich bitte euch. Das sind alles nur Mythen – allerdings wunderhübsch ausgeschmückt, das muss man den Erbauern lassen. Ganz unzweifelhaft verfügte dieses Volk nicht nur über eine blühende Phantasie, sondern auch über große handwerkliche Fähigkeiten.«
    Ray zog die Stirn kraus, als er mit dem Finger über die Bildnisse fuhr. »Ich widerspreche dir ja nur ungern, aber für mich sehen diese Bilder nicht wie Phantasiedarstellungen aus. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe da ein ganz mieses Gefühl.« Ein eiskalter Luftzug fuhr durch die Pyramide. Ray meinte etwas zu hören, ein Rascheln oder Huschen. Er machte kehrt und blickte nach hinten. Langsam ließ er den Lichtstrahl durch das Gebäude wandern. Er hatte den Eindruck, als würden gelbe, bösartige Augen auf sie herabstarren.
    Während sein Licht über den efeubewachsenen Boden glitt, schälten sich bizarre Formen aus der Dunkelheit. Die Wurzeln und Ranken waren zu seltsamen Skulpturen zusammengerollt. Im Schein seiner Lampe sahen sie aus, als würden

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