Korsar meiner Träume
Herz noch mehr.
»Ich verstehe«, antwortete sie. Sie ging, bevor einer der beiden Männer ihre Tränen sehen konnte.
Da sie einen Platz brauchte, der wenigstens ein wenig Privatsphäre und Schutz bot, glitt Claire unter das Rettungsboot, das sanft über ihr hin- und herschwankte. Als Claire sich auf der Seite zusammenrollte, die Beine anzog und ihre Tasche vor der Brust umklammerte, da liefen ihr die Tränen heiß und lautlos über die Wangen.
Vincent goss Nate einen Becher voll Rum ein und schob ihn über den Tisch. Es war eine Tradition, die sie auf Blakes Schiff begonnen hatten und die sie von der Blue Rose mit auf die Revenge genommen hatten. Jede Nacht teilten sie sich vor dem Zubettgehen einen Becher Rum in der Kombüse. Heute Nacht war das erste Mal, seit dieses Ritual stattfand, dass Nate nicht daran teilnehmen wollte.
Er wollte ganz einfach mit seinen Gedanken alleine sein. Aber dann, vielleicht wäre das nicht besonders klug, da er bereits wusste, er würde sowieso nur an Claire denken können.
»Weißt du, woran mich das erinnert?«, fragte Vincent. Er hatte seinen Becher in der Hand und ließ die Flüssigkeit darin kreisen.
»Ich habe Angst, zu fragen«, antwortete Nate.
Vincent grinste.
»Es ist wie damals, als Blake Alicia als blinden Passagier auf seinem Schiff gefunden hat.«
»Es ist überhaupt nicht so.« Nate blickte finster drein und nahm einen tiefen Schluck.
»Gewiss ist es das. Erinnerst du dich, wie er ganz verkrampft war, als Alicia an Bord war? Wie er so getan hat, als ob er sie hasste, während er sie doch eigentlich -«
»Ich würde jetzt den Mund halten, wenn ich du wäre.«
Vincent lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Der Sitz war nicht hoch aber nichtsdestotrotz baumelten seine Füße über dem Fußboden. »Ich habe keine Angst vor dir, du Riesentölpel. Außerdem weißt du, dass ich recht habe.«
»Nein, hast du nicht. Blake hat Alicia zunächst gehasst. Erst als er sie kennenlernte, hat er seine Meinung geändert.«
»Aber du kennst Claire bereits.«
Nate nahm noch einen tiefen Schluck.
»Sie ist verheiratet.« Da die Worte auf seiner Zunge bitter schmeckten, trank er den Rest seines Rums.
Vincent legte den Kopf schief.
»Wo ist dann ihr Ehemann?«
Nate seufzte. Wo war ihr Ehemann? Gewiss würde er sie nicht auf eigene Faust durch die Karibik segeln lassen. Allein der Gedanke daran jagte Nate schon höllische Angst ein. Außerdem, warum sah sie so bettelarm aus, wenn er doch ganz genau wusste, dass ihr Ehemann sehr reich war?
»Ich weiß es nicht.«
Vincent beugte sich vor.
»Willst du es wissen?«
»Nein.« Und zur Hölle, wusste er denn nicht, worauf das hinauslief?
»Und du willst das ebenfalls nicht. Halte dich da raus, Vincent.«
Der Blick, den sein Steuermann ihm zuwarf, gefiel Nate nicht, weil er genau wusste, Vincent würde es dennoch tun. Er hatte es auch bei Alicia und Blake getan, hatte sich eingemischt, als ob er sie um jeden Preis verkuppeln wollte. In jenem Fall hatte es sogar funktioniert, und Nate war es auch egal gewesen, solange Vincent ihn nur aus der Sache rausgehalten hatte.
Aber jetzt, da es um sein Leben ging, in das sich eingemischt wurde, da gefiel es ihm nicht. Ganz und gar nicht.
»Ich kann doch nichts dafür, wenn sie mit mir redet. Sie scheint mich zu mögen«, grinste Vincent.
Die Körpergröße seines Freundes ließ ihn harmlos aussehen, aber Nate kannte diesen Ausdruck in Vincents Augen. Er verhieß nichts Gutes für ihn.
»Dann muss ich dafür sorgen, dass ihr nicht mehr allein miteinander seid.«
»Selbst der Kapitän muss mal schlafen«, antwortete Vincent, bevor er seinen Becher an die Lippen führte.
Doch er war nicht schnell genug. Nate sah Vincents süffisantes Grinsen noch, bevor er es hinter seinem Becher verstecken konnte.
Nate schloss die Augen und seufzte.
Wie lange konnte ein Mann wohl wach bleiben, fragte er sich.
Die Wolken hatten sich im Laufe der Nacht verzogen. Nun strahlte das Mondlicht hinab aufs Deck und spiegelte sich auf dem polierten Holz. Es war Claire gelungen, ein wenig zu schlafen, aber sie war es gewohnt, schnell wach zu werden – eine praktische Fähigkeit, besonders weil sie meist alleine kampierte oder von Männern umringt war. Sie hatte darauf gewartet, dass Nate in seine Kajüte ging. Das war er. Schon vor Stunden.
Sie hatte zufällig gehört, wie er zu Vincent sagte, dass er später wiederkommen würde. Aus ihrem Gespräch hatte sie geschlossen, dass er versuchen würde,
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