Kosakensklavin
Hand zu küssen, stellte sie befremdet fest, dass ihm ein Auge fehlte.
„Ich hoffe, es ist Euch nichts Ernstliches zugestoßen“, sagte er und beugte sich über ihre rechte Hand. „Ich wäre untröstlich darüber, liebe Sonja Borisowna.“
Trotz seiner Entstellung strahlte er Charme und Selbstsicherheit aus. Es war ihm nicht entgangen, dass Sonja über seine Identität im Dunklen tappte, und er amüsierte sich darüber, anstatt beleidigt zu sein.
„Darf ich Eurem Gedächtnis nachhelfen?“, meinte er schmunzelnd. „Grigorij Alexandrowitsch Potjomkin, Generalleutnant Ihrer Majestät der Zarin. Wir sahen uns im vergangenen Winter bei einer kleinen Gesellschaft in der Eremitage, liebe Sonja Borisowna. Offensichtlich hat sich Euer Bild sehr viel fester in meiner Erinnerung eingegraben, als es umgekehrt der Fall ist. Ich habe noch oft an Euch gedacht .“
„Potojomkin - natürlich. Bitte verzeiht mir, ich bin ein wenig durcheinander“, stotterte sie.
Es war ihr ausgesprochen peinlich. Sie hatte Potjomkin nur am Rande wahrgenommen, es hatte attraktivere Männer bei Hofe gegeben. Später hatte man gemunkelt, dass er der kommende Mann in der Gunst der Zarin war. Doch da hatte Sonja längst andere Sorgen gehabt.
Er betrachtete sie voller Entzücken. Eine kleine Schönheit, das war ihm schon damals aufgefallen. Dieses rotblonde üppige Haar, die zarte Haut, die winzigen Sommersprossen um die kleine Nase. Doch im Winter war sie ein schüchternes, mädchenhaftes Püppchen gewesen, das er nicht anzureden wagte, aus Furcht, sie mit seinen Wünschen und Begierden zu erschrecken. Jetzt aber waren ihre Bewegungen sicher und anmutig und auf ihrem Gesicht spiegelte sich eine erstaunliche Entschlossenheit.
„Wenn ich Euch in irgendeiner Weise behilflich sein könnte, Sonja Borisowna - ich stehe zu Euren Diensten.“
Seine Stimme war weich, und sie spürte sofort, welche Absichten hinter diesem Angebot standen. Doch noch rascher erkannte sie ihre Chance.
„Ich muss Ihre Majestät die Zarin sprechen“, sagte sie und sah ihn flehend an. „Noch heute - am besten gleich.“
Er zögerte keinen Augenblick.
„Nichts leichter als das - ich bin soeben auf dem Weg zu Ihrer Majestät. Begleitet mich.“
Er warf einem der Lakaien die Zügel seines Pferdes zu und bot Sonja seinen Arm, um mit ihr die Stufen zum Eingang des Palastes emporzusteigen. Es war erregend, sie an seiner Seite zu spüren, und er verfluchte insgeheim die Tatsache, dass er mit Rücksicht auf seine Position bei Hofe zu allergrößter Vorsicht gezwungen war. Der unfreiwillige Aufenthalt bei den Kosaken hatte Sonja keineswegs zerbrochen oder verzweifelt gemacht. Im Gegenteil - sie war zu einer bezaubernd aufregenden Frau erblüht. Potjomkin wusste nur allzu gut, auf welche Weise diese Wandlung zustande gekommen war, denn er hatte gestern Abend eine längere Unterredung mit Fürst Baranow geführt.
Er durchschritt die Räume mit Sonja an der Seite und genoss es, dass man sich vor ihm verneigte und buckelte. Sein neuer Rang als Geliebter und Vertrauter der Zarin erlaubte ihm jegliche Freiheit - solange er Katharinas Liebe besaß und der
Herr ihrer Nächte war, würde er seinen unbändigen Ehrgeiz befriedigen können. Und Grigorij Potjomkin war sehr ehrgeizig.
Er hatte die Kaltblütigkeit, mitten in eine Audienz hineinzuplatzen. Die Zarin saß am Schreibtisch ihres Arbeitszimmers, in ein Gespräch mit einem ihrer Minister vertieft. Ein Sekretär war eifrig beschäftigt, Notizen zu machen. Als Potjomkin erschien, hob Katharina den Kopf und lächelte ihm entgegen. Die Zarin besaß ein gewinnendes Lächeln, das sie für jedermann bereithielt. Doch wenn es Potjomkin galt, lag ein besonderes Feuer darin.
„Genug für heute“, erklärte sie ihrem Minister und bedeutete ihm, dass er sich zurückziehen durfte. „Wir werden Euch morgen unsere Entscheidung bekannt geben.“
Der Minister entfernte sich mit höflichem Lächeln, hinter dem er seinen Ärger verbarg. Er hatte sich mehr von dieser Audienz erhofft.
„Ich bringe Euch eine gute Bekannte“, sagte Potjomkin, der seiner Zarin die Hand küsste. „Sonja Borisowna Woronina.“
Sonja versank in einem tiefen Hofknicks, aus dem sie erst die warme Stimme der Zarin erlöste.
„Sonja! Mein armes Kind! Was hast du durchgemacht! Komm und setz dich zu mir, ich will wissen, was ich für dich tun kann.“
Katharina war ein emotionaler Mensch. Sie konnte ohne Reue Todesurteile unterzeichnen, Verbannungen verfügen
Weitere Kostenlose Bücher