Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Konto der Palästinenser.«
»That's right. Aber vergessen Sie nicht, daß die Lage in Palästina auf der Kippe steht. Sharon räumt den Gaza-Streifen von den jüdischen Siedlern. Und Abbas will mit Israel verhandeln. Das paßt weder der Hamas noch den al-Aksa-Brigaden. Nicht auszuschließen, daß sie auf das Muster der Achille-Lauro-Entführung zurückgegriffen haben, um mit Hilfe einer großen Terroraktion die Annäherung zwischen Israel und Palästina zu untergraben.«
Keiner von uns kann darauf etwas erwidern. Er ist wie gesagt imstande, jede Theorie plausibel zu machen.
»Wenn sie mit den Erschießungen anfangen, könnte sich diese Theorie als die wahrscheinlichste erweisen«, ergänzt Parker. Dann wendet er sich mir zu: »Es ist wie eine Operation, Costas«, erklärt er. »Die ersten achtundvierzig Stunden sind kritisch, dann wissen wir, ob der Patient überleben wird. Wenn sie in den ersten achtundvierzig Stunden niemanden umbringen, wissen wir, daß es nicht ihr Ziel ist zu töten, sondern etwas zu erpressen.«
Bis hierher kann ich ihm folgen. Das Schlimme ist nur, daß ich den Patienten nicht besuchen kann, um ihm Mut zu machen.
* 6
Der Streifenwagenfahrer, der mich von Souda nach Chania bringt, läßt mich vor der Markthalle aussteigen. Er hätte mich auch bis vors Hotel Samaria gefahren, doch ich zog es vor, zu Fuß zu gehen, um mit einem Dilemma zu Rande zu kommen, das mir während der ganzen Fahrt von Souda ins Stadtzentrum nicht aus dem Kopf ging: Was tue ich, wenn ich morgen in die Anatomie gerufen werde, um Katerina zu identifizieren? Werde ich der Bulle sein, der düster und ausdruckslos vor der Bahre seines Kindes steht und am nächsten Tag in den Zeitungen lesen muß: »Tragödie: Polizist identifiziert Tochter als Terroropfer.« Oder werde ich der am Boden zerstörte Vater sein, der über dem Leichnam seines Kindes schluchzend zusammenbricht, selbst wenn er dadurch den Fernsehsendern ein gefundenes Fressen liefert? Bislang war es mir gelungen, den Bullen und den Familienvater fein säuberlich auseinanderzuhalten. Auf der Dienststelle benehme ich mich anders als zu Hause. Meine Kollegen kennen mich als Bullen und wissen nicht, wie ich mich meiner Tochter gegenüber verhalte. Und meine Tochter kennt mich als Vater, weiß jedoch nicht, wie ich im Dienst agiere. Mein Dilemma ist, welchen von beiden ich Gikas, Stathakos, Parker, den Gerichtsmedizinern und allen anderen offenbaren soll: den Bullen oder den Menschen. Was uns Linke und Studenten seit je vorhalten, enthält ein Körnchen Wahrheit: Bullen und Menschen gehören nicht derselben Spezies an. Uniform, Dienstgrad und Dienstwaffe (selbst wenn man sie seit Jahren nicht mehr gebraucht hat) sowie die Erwartungen der anderen drängen einen in eine bestimmte Rolle. Und in diesem Verhaltensmuster hat öffentlich zur Schau gestellte Trauer keinen Platz. Aber da ich weder zu den Größen meines Fachs noch zu den Shooting Stars des Polizeikorps, wie etwa Stathakos, gehöre, können sie mir alle den Buckel runterrutschen. Ich werde mich im Angesicht sämtlicher Massenmedien über Katerina werfen und losheulen, selbst wenn ich danach meinen Assistenten nicht mehr in die Augen sehen kann.
Ich bin noch zwei Schritte vom Hoteleingang entfernt, als ich plötzlich instinktiv spüre, daß sich eine Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. Leute hasten vorbei, fahren bei Rot über die Ampel und drücken ihre Nasen an den Schaufenstervitrinen mit den laufenden Fernsehern platt.
»Was ist los?« frage ich einen Passanten.
»Die Terroristen haben sich gemeldet.«
Ich hechte vorwärts ins Hotel. Alle, selbst die Angestellten an der Rezeption, haben sich in der Lobby vor dem Fernseher versammelt, wo es drunter und drüber geht. Mein Blick sucht Adriani, und ich finde sie auf dem Boden sitzend vor, einen halben Schritt von der Mattscheibe entfernt. Ich drängele mich zur Tür, dem einzigen Punkt, von dem aus man den Bildschirm gut sehen kann.
»Wann ist es zur Kontaktaufnahme gekommen, Andreas?« fragt der Moderator den Reporter, der den ganzen Bildschirm einnehmen darf.
»Genau um zwanzig nach acht, Jannis. Genauer gesagt haben sich nicht die Terroristen, sondern der Kapitän der El Greco gemeldet. Er hat sich an die Hafenbehörden gewendet.«
»An dieser Stelle, verehrte Fernsehzuschauer, spielen wir Ihnen das Gespräch des Kapitäns mit dem Hafenamt vor, so wie es uns von den Polizeibehörden vor
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