Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Jahren versucht Katerina, das negative Image der Polizei und das Bild eines Vaters, den sie über alles liebt, unter einen Hut zu bringen. Sie hat alle Bücher über die griechische Geschichte von der Metaxas-Diktatur bis zur Zeit nach dem Sturz des Obristenregimes gelesen. Sie weiß, welche Rolle die Polizei in diesen Zeiten gespielt hat, sie weiß, daß ihr Großvater Unteroffizier bei der Gendarmerie war, und ebenso weiß sie von den Gewalttaten der Gendarmerie unter der Landbevölkerung. Seit all diesen Jahren bemüht sie sich, eine Antwort zu finden.«
Meine Überraschung wächst jedoch noch weiter. »Wann hat sie das alles gelesen?«
»In Thessaloniki, während ihres Studiums. Ich weiß echt nicht, was sie besser beherrscht: die Rechtswissenschaft oder die moderne griechische Geschichte. Nun gut, irgendwann hat sie den Schluß gezogen, daß die Polizei in bewegten Zeiten tatsächlich Dreck am Stecken hatte, weil sie seit ihrer Gründung dazu verurteilt war, Gesetz und bestehende Ordnung zu stützen. Entweder seien die Dinge, die ihr zur Last gelegt würden, einseitig dargestellt, oder alles Geschriebene sei wahr, aber es gebe immer Ausnahmen, und ihr Vater sei eine solche Ausnahme. Sie hat sich mit diesen beiden Auffassungen angefreundet und es vermieden, eine eindeutige Antwort auf die Frage zu finden.«
Er macht eine Pause und gibt mir die Gelegenheit, all das hinunterzuschlucken, doch der Bissen bleibt mir im Halse stecken.
»Aber gestern abend mußte ich feststellen, daß ihr der Verdacht gekommen ist, ihr Vater könnte schließlich doch nicht die große Ausnahme sein. Du wirst verstehen, daß man nun dringend eingreifen muß, denn wenn eure Beziehung gestört wird und sie ihr Gleichgewicht verliert, wird eine Lösung des Problems äußerst schwierig.«
In meiner Verlorenheit und Panik finde ich nur eine Entgegnung: »Danke, daß du es mir gesagt hast.«
»Aber was redest du da? Sollte ich dir etwas verheimlichen, was dich unmittelbar betrifft? Ich gehöre nicht zu den Ärzten, die sich vor ihren Patienten verstecken. Ich finde es besser, wenn sie die ganze Wahrheit wissen.«
»Laß mich das erst mal verdauen, wir reden morgen weiter.«
»In Ordnung, nur schieb es nicht auf die lange Bank. Es muß bald etwas geschehen.«
Fanis fährt Katerina abholen. Mit Ausnahme der Tage, wo er Nachtdienst hat, kümmert er sich um sie und geht jeden Abend mit ihr aus. Ich jedoch kehre ins Präsidium zurück und schließe mich in mein Büro ein.
* 31
Gewalt, die: Macht, Befugnis, das Recht u. die Mittel, über jmdn. zu bestimmen, zu herrschen: die Teilung der in gesetzgebende, richterliche und ausführende G. 2.a) unrechtmäßiges Vorgehen, wodurch jmd. zu etw. gezwungen wird, b) [gegen jmdn., etw. rücksichtslos angewendete] physische Kraft, mit der etw. erreicht wird. j. elementare Kraft von zwingender Wirkung: die G. des Sturms, der Wellen.
Die Idee kam mir mitten in einer schlaflosen Nacht, als ich gerade zum Zeitvertreib das Dimitrakos-Wörterbuch durchblätterte. Seit einiger Zeit hatte ich es nicht mehr aufgeschlagen, und es schien, als hätte es seine alte Geltung für mich verloren.
Fanis' Worte vom vorangegangenen Nachmittag haben mich bis ins Mark getroffen. Richtig, das Polizeikorps ist weder die unicef noch ein Priesterseminar. Wenn man von der Metaxas-Diktatur bis zur deutschen Besatzung und vom Bürgerkrieg bis zur Militärjunta sämtlichen Machthabern gedient hat, dann ist man vorbelastet und gehört zur Kategorie 2.a) und b) des Lexikons, dann hat man mit Gewaltakten und Gewaltanwendung, mit Gewalthabern und Gewalttätern, mit Gewaltmaßnahmen und Gewaltstreichen zu tun.
Bis hierher könnte man uns lexikographisch mit den Terroristen gleichstellen. Doch wir gehören nicht alle in dieselbe Kategorie, es gibt Unterschiede und Abstufungen. Ein Teil meiner Kollegen ist stets auf der Seite der Machthaber, egal wer es auch sei; ein anderer Teil, die ehrbaren und gewissenhaften national Gesinnten, glauben an ihre Pflicht, egal welche; ein dritter Teil glaubt an gar nichts und bedient sich an allen Ecken und Enden; die vierte Gruppe folgt dem Prinzip »Halt den Mund und tu deine Arbeit. Nach deiner Meinung fragt man sowieso nicht!«. Gikas gehört zur ersten, ich zur vierten Kategorie.
Wie ist Katerina bloß auf die Assoziation zwischen terroristischer und polizeilicher Gewalt gekommen? Durch das Wörterbuch von Dimitrakos?
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