Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Spaziergang im Park«, sage ich zu Katerina. »Ruf mich auf dem Handy an, wenn ihr fertig seid.« Dann bleibe ich mitten auf der Treppe stehen. »Schlag es nicht aus, wenn er dir einen Kaffee anbietet. Er macht den besten in ganz Athen.«
Das Lob nimmt er gleichmütig entgegen, doch ich weiß, daß es ihn freut. Außerdem habe ich auch nicht geschwindelt. In der Tat macht er den besten Kaffee in ganz Athen.
Als ich aus der kleinen Ekavis-Gasse trete, frage ich mich, ob es ein Fehler war, Katerina Sissis vorzustellen. Wenn Adriani oder einer meiner Kollegen hört, daß ich meine Tochter einem Kommunisten alten Schlags zur Psychotherapie anvertraue, werden sie mich für krank erklären. Doch ich bin, sowohl beruflich als auch privat, immer dem Prinzip gefolgt, daß man sich eigenständig - und sei es auch fünf vor zwölf - beim Schopf aus dem Sumpf herausziehen muß. Nun sind all die Überlegungen ohnehin überflüssig, sage ich mir, denn ich kann das Treffen nicht mehr rückgängig machen.
Im Park drehe ich unter den Bäumen eine Runde. Mir kommt der Gedanke, mich in ein Cafe zu setzen, aber die Unruhe, die ich spüre, erlaubt es mir nicht, länger als fünf Minuten sitzen zu bleiben. Daher verlege ich mich besser aufs Spazierengehen.
Ich habe einige Indikatoren für die Begegnung zwischen Sissis und Katerina ausgemacht. Wenn sie mich, sagen wir, nach zehn Minuten anruft, dann hat sie nach Sissis' ersten Verbalattacken die Flucht ergriffen. Wenn das Treffen eine halbe Stunde dauert, dann haben sie die Form gewahrt, mehr als eine halbe Stunde bedeutet, daß sie ein tiefergehendes Gespräch führen, und alles darüber hinaus hängt vom Vertrauen ab, das sie zueinander fassen.
Nach zwei Stunden meldet sie sich, während ich nun doch einen mittelstarken Mokka trinke, da meine Fußsohlen Blasen vom vielen Spazierengehen bekommen haben. Sie wartet vor dem Mirafiori auf mich. Ich sage nichts und frage auch nicht, wie das Gespräch gelaufen ist oder welchen Eindruck sie von Sissis hat. Ich setze bloß den Fuß aufs Gaspedal und fahre los.
»Hast du Zeit für noch einen Kaffee?« fragt sie.
»Mhm.«
Wir landen wieder bei Kanakis, doch diesmal bestellt sie einen Cappuccino freddo, während ich mit einem süßen Mokka dort fortfahre, wo ich im letzten Kafenion unterbrochen wurde.
»Wie hast du Sissis kennengelernt?« fragt sie, als wir alleine sind.
»Das ist eine lange Geschichte. Was hat er dir erzählt?«
»Daß ich mich von den Bildern, die sich mir eingeprägt haben, nicht fertigmachen lassen soll. Und daß der beste Weg, mit Gewalt umzugehen, der ist, sie als Krankheit zu betrachten. Als würde man bei Schmerzen sagen: Es ist nur eine vorübergehende Krankheit, der man gefaßt begegnen kann.« Sie hält kurz inne und denkt nach. »Aber es war nicht so sehr, was er gesagt hat, sondern wie er es gesagt hat.«
»Wie hat er es denn gesagt?«
»Er meinte, ich sollte mich in die Arbeit stürzen, das sei die beste Medizin. >Immer wenn sie mich abholten<, erzählte er, >habe ich dafür gesorgt, daß ich etwas Kleines und Scharfes dabeihatte, eine Nadel, eine Büroklammer oder noch besser, einen Glassplitter. Sobald man mich in Isolationshaft sperrte, habe ich ein Mauerstück markiert und begonnen, den Verputz herunterzukratzen. Das war meine tägliche Arbeit, mit feststehender Arbeitszeit und Mittagspausen Als ich ihn fragte, warum er das getan hätte, antwortete er: >Um mich der Selbsttäuschung hinzugeben, daß ich die Grundfesten des Systems untergrabe.<« Sie macht eine Pause und fügt dann hinzu: »Er hat mir aber noch etwas gesagt. Er habe, um mit seinen Alpträumen umzugehen, die Gewalt in vier Kapitel eingeteilt: die Gewalt unter dem Metaxas-Regime, die Gewalt im Hauptquartier der SS in der Merlin-Straße, die Gewalt im Deportationslager Al-Stratis und die Gewalt im Junta-Gefängnis der Bouboulinas-Straße.«
»Hat er dir auch erzählt, daß wir uns im vierten Kapitel kennengelernt haben? In der Bouboulinas-Straße?«
»Nein. Er hat nichts darüber gesagt. Er hat mir vielmehr den Eindruck vermittelt, daß er dich schon sehr lange kennt.«
In meinem tiefsten Innern hatte ich die Hoffnung, er würde ein gutes Wort für mich einlegen. Nun erzähle ich ihr, wie wir uns kennenlernten, als man ihn in der Bouboulinas-Straße folterte und er den Mund nicht aufmachte. Daß ich ihn in den Nächten, in denen ich Wache im Gefängnis schob, herausließ,
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