Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
unverständlich, doch es scheint den Alten zu überzeugen, da er zur Seite tritt und uns hereinlässt.
Der Hof wirkt genauso verlassen, aber auch genauso gepflegt wie die Landsitze auf Prinkipos, die wir bei unserem Ausflug gesehen hatten. Rasenbeete, unterbrochen von Bäumchen, Sträuchern und Blumenrabatten, reihen sich aneinander. Ich gehe ein Stückchen die symmetrisch mit grauen und ockerfarbenen Steinplatten ausgelegten Gehwege entlang und schaue mich ein wenig um.
Dann kehre ich zum Eingang zurück, wo Murat immer noch mit dem Hausmeister spricht. Als er mich herannahen sieht, wirft er mir einen warnenden Blick zu, da er wohl befürchtet, ich könnte mit dem Hausmeister ein Gespräch beginnen - und noch dazu auf Griechisch!
Da wende ich mich lieber wieder ab, bevor mir der Kragen platzt und ich mich zu einem unkontrollierten Ausbruch verleiten lasse. Das Schulgebäude ist frisch gestrichen und wirkt wie aus dem Ei gepellt. Ich steige die verwitterten Steinstufen empor, das Einzige, an dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Die weiße Eingangstür ist offen, doch eine zweite Innentür ist verschlossen. Daher blicke ich durch die Glasscheiben ins Innere. Alles ist sauber und ordentlich, als warte das Gebäude nur auf die Schüler, die sich jedoch nicht blicken lassen. Man könnte die Schule für eine Fata Morgana halten oder aber auch für einen jener Traditionsbauten, die nur deshalb so schön renoviert werden, damit ein höherer Verkaufspreis herausgeschunden werden kann.
»Was haben Sie herausbekommen?«, frage ich Murat auf dem Rückweg.
Er zuckt mit den Schultern. »Nothing much«, erwidert er. »Nichts Besonderes, der Hausmeister kannte die Adamoglou so gut wie alle anderen aus der Nachbarschaft, da sie der letzte Spross einer alteingesessenen Familie war. Doch darüber hinaus hatte er nichts mit ihr zu tun. Ihr Kontakt beschränkte sich auf einen kurzen Gruß.«
»Hat er etwas von dem Besuch gehört, den die Adamoglou bekommen hatte?«
»Nein, er sagt, er verlasse nur selten das Schulgebäude, und so sei er nicht auf dem letzten Stand, was die Neuigkeiten im Viertel betrifft.«
»Glauben Sie ihm?«
Wiederum zuckt er mit den Schultern. »Bakirköy ist groß, da läuft man sich nicht jeden Tag über den Weg. Und die älteren Leute gehen auch nicht mehr so häufig außer Haus.« Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: »Andererseits könnte er schon etwas wissen, was er jedoch nicht erzählen möchte.«
»Wieso nicht? Glauben Sie, er deckt jemanden?«
»Nein, aber indem er nicht alles sagt, macht er uns das Leben schwer und rächt sich auf diese Weise an der Polizei.«
Meine Erfahrung sagt mir, dass er recht hat, und so hake ich nicht weiter nach. Lieber konzentriere ich mich auf die Fahrstrecke, die ich mittlerweile bestens kenne: über die Atatürk-Brücke, dann auf die Anhöhe und den Tarlabasi-Boulevard, der zu unserem Hotel führt. Auch in Istanbul habe ich es also geschafft, mir eine gewisse Alltagsroutine zuzulegen, die durchaus ihr Gutes hat: Sie hilft mir, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. In diesem Fall passt überhaupt nichts zusammen: weder das profile der Mörderin - wie Gikas sagen würde - noch das plötzliche Interesse des Schriftstellers für eine Frau, die vor sechzig Jahren seine Kinderfrau war und die er jahrzehntelang aus den Augen verloren hatte, noch Murats Haltung mir gegenüber. Irgendetwas läuft hier aus dem Ruder, aber ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, was es ist. Nicht auszuschließen, dass auch meine eigene unprofessionelle Haltung schuld daran ist. Denn es ist gar nicht so einfach, zwei Seelen in einer Brust zu vereinen: den Touristen und den Bullen. Nun, da sich unsere Beziehung mit Katerina wieder normalisiert hat, würde ich Istanbul gerne richtig kennenlernen und unbeschwert durch die Stadt bummeln. Selbst Despotopoulos, der Feldherr außer Dienst, ist mir mittlerweile sympathisch geworden.
»What is the next step?«, frage ich Murat, als wir vor dem Hotel eintreffen. »Was unternehmen wir als Nächstes?«
»Ich halte Sie auf dem Laufenden, sobald wir neue Erkenntnisse haben«, entgegnet er. Gleichzeitig zieht er seinen Notizblock aus der Hosentasche und schreibt eine Nummer darauf. »Hier ist meine Handynummer«, meint er. »Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie etwas brauchen.« Er hält inne und fügt dann hinzu: »Nicht nur, was das Berufliche betrifft, sondern auch auf privater
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