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Krabat (German Edition)

Krabat (German Edition)

Titel: Krabat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otfried Preußler
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übernehme ich«, sagte Juro. »Mit Feuer und Holz kann ich umgehen, dazu reicht es gerade noch.«
    Krabat hüllte sich in die Decke und setzte sich unter das Kreuz. Wie Tonda vor einem Jahr hier gesessen hatte, saß heute er da: aufrecht, mit angezogenen Knien, den Rücken gegen den Stamm gelehnt.
    Juro vertrieb sich die Zeit mit Geschichtenerzählen. Dann und wann sagte Krabat »ja« dazu oder »ach« oder »sieh mal an!«. Er sagte es auf gut Glück, ohne richtig hinzuhören. Mehr brauchte es nicht, um Juro zufriedenzustellen. Eifrig erzählte er weiter, von dem und jenem, was ihm gerade einfiel. Es schien ihm nichts auszumachen, dass Krabat kaum bei der Sache war.
    Krabat dachte an Tonda – und dachte zugleich an die Kantorka. Ohne dass er es wollte, war sie ihm eingefallen. Er freute sich auf den Augenblick, da er sie würde singen hören, vom Dorf herüber um Mitternacht.
    Und wenn er sie nicht hörte? Wenn ein anderes Mädchen vorsang in diesem Jahr?
    Bei dem Versuch, sich die Stimme der Kantorka vorzustellen, machte er die Entdeckung, dass ihm das nicht mehr möglich war: dass sie weg war aus seinem Gedächtnis, verschwunden, ausgelöscht. Oder kam ihm das nur so vor?
    Das war schmerzlich für ihn; und der Schmerz, den er da empfand, war von einer besonderen Art, die ihm neu war: als sei er an einer Stelle getroffen worden, von der er bislang nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
    Er versuchte darüber hinwegzukommen, indem er sich sagte: »Ich habe mir nie was aus Mädchen gemacht und so will ich es auch in Zukunft halten. Was hätte ich denn davon? Es würde mir eines Tages doch nur wie Tonda ergehen. Dann säße ich da – und das Herz ist mir schwer von Kummer. Und nachts, wenn mein Blick auf die mondhelle Heide fällt, gehe ich manchmal aus mir hinaus und suche den Ort auf, wo die, der ich Unglück gebracht habe, unterm Rasen liegt  … «
    Die Kunst des Aus-sich-Hinausgehens hatte Krabat inzwischen erlernt. Sie gehörte zu jenen wenigen Künsten, die anzuwenden der Meister die Burschen gewarnt hatte – »weil es leicht sein kann, dass jemand, der seinen Körper verlassen hat, nicht mehr hineinfindet«. Denn das hatte der Meister den Mühlknappen eingeschärft: aus sich hinausgehen konnte man erst nach Einbruch der Dunkelheit – und zurückkehren nur vor Anbruch des neuen Tages.
    Wer sich versäumte und länger ausblieb, für den gab es kein Zurück mehr. Sein Körper blieb ihm verschlossen und wurde für tot begraben, während er selbst dann umherirren musste, ruhelos zwischen Tod und Leben, unfähig sich zu zeigen, zu sprechen oder sich sonst wie bemerkbar zu machen – und darin lag die besondere Qual dieses Zustandes: noch der windigste Poltergeist konnte ja wenigstens klopfen, mit Töpfen klappern und Holzscheiter gegen die Wand schmeißen.
    »Nein«, dachte Krabat, »ich werde mich hüten, aus mir hinauszugehen – was immer mich auch verlocken sollte.«
     
    Juro war still geworden, er hockte am Feuer und rührte sich kaum. Wenn er nicht ab und zu einen Ast in die Glut geschoben, ein Rindenstück nachgeschürt hätte: Krabat wäre versucht gewesen zu glauben, er sei ihm davongeschlafen.
    So wurde es Mitternacht. Wieder tönten von ferne die Osterglocken und abermals hob in Schwarzkollm eine Mädchenstimme zu singen an – die Stimme, die Krabat kannte, auf die er gewartet, nach der er vergebens in seinem Gedächtnis gesucht hatte. Jetzt aber, da er sie hörte, fand er es unbegreiflich, wie er sie hatte vergessen können.
     
»Erstanden ist
Der heilig Christ,
Halleluja,
Halleluja!«
     
    Krabat lauscht dem Gesang der Mädchen im Dorf, wie die Stimmen sich abwechseln, erst die eine und dann die andern, und während die anderen singen, wartet er schon darauf, dass die eine sie wieder ablöst.
    »Was für Haar sie wohl hat, die Kantorka?«, muss er denken. »Braun vielleicht – oder schwarz – oder weizenfarben?«
    Das möchte er wissen. Er möchte das Mädchen sehen, das er da singen hört, es verlangt ihn danach.
    »Wenn ich aus mir hinausginge?«, denkt er. »Für wenige Augenblicke nur – bloß so lang, um ihr ins Gesicht zu schauen  … «
    Schon spricht er die Formel, schon spürt er, wie er sich loslöst aus seinem Körper, wie er sich ausatmet, in die schwarze Nacht hinaus.
    Er wirft einen Blick auf das Feuer zurück: auf Juro, der dahockt, als werde er jeden Augenblick einschlafen – auf sich selbst, wie er aufrecht sitzend am Kreuz lehnt, nicht tot, nicht

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