Krabat (German Edition)
lebendig. Alles, was Krabats Leben ausmacht, ist nun hier draußen, ist außerhalb. Frei ist es, leicht und unbeschwert – und sehr wach, sehr viel wacher mit allen Sinnen, als er es je gewesen ist.
Noch zögert er, seinen Körper allein zu lassen. Es gilt da ein letztes Band zu lösen. Das fällt ihm nicht leicht, weil er weiß, dass es eine Trennung für immer sein kann. Trotzdem wendet er sich vom Anblick des Burschen am Feuer, der seinen Namen trägt, ab und begibt sich ins Dorf.
Niemand hört Krabat, niemand vermag ihn zu sehen. Er selbst aber hört und sieht alles mit einer Deutlichkeit, die ihn staunen macht.
Singend ziehen die Mädchen mit ihren Laternen und Osterkerzen die Dorfstraße auf und ab, in der Abendmahlstracht, die schwarz ist, vom Schuh bis zum Häubchen – mit Ausnahme eines weißen Stirnbandes über dem in der Mitte gescheitelten, straff nach hinten gekämmten Haar.
Krabat verhält sich, wie Krabat sich auch verhalten hätte, wäre er sichtbar gewesen: Er gesellt sich den Dorfburschen zu, die in Gruppen zu beiden Seiten der Straße stehen, die Mädchen beobachtend. Scherzworte fallen und Zurufe.
»Könnt ihr nicht lauter singen – man hört euch kaum!«
»Aufpassen mit den Lichtern – dass ihr euch nicht die Nasen daran verbrennt!«
»Mögt ihr nicht herkommen und euch ein bisschen wärmen lassen – ihr seid ja ganz blau gefroren!«
Die Mädchen tun so, als seien die Burschen am Straßenrand nicht vorhanden für sie. Dies ist ihre Nacht, sie gehört ihnen ganz allein. Ruhig ziehen sie ihres Weges und singen, straßauf, straßab.
Später gehen sie dann in eines der Bauernhäuser zum Aufwärmen. Die Burschen versuchen nachzudrängen, der Hausvater weist sie ab. Da eilen sie an die Stubenfenster und spähen hinein. Die Mädchen umringen den Ofen, die Bäuerin reicht ihnen Osterküchlein und heiße Milch. Mehr sehen die Burschen nicht, denn gleich ist der Hausvater wieder zur Stelle, diesmal mit einem Stecken.
»Ksch!«, macht er, wie man lästige Kater fortscheucht. »Weg da, ihr Kerle – oder es setzt was!«
Die Burschen verziehen sich maulend; auch Krabat folgt ihnen, der es gar nicht nötig hätte. In der Nachbarschaft warten sie, bis die Mädchen das Haus verlassen und weiterziehen.
Krabat weiß ja nun, dass die Kantorka helles Haar hat. Schmal ist sie und von hohem Wuchs und sie hat eine stolze Art, wie sie geht und den Kopf hält. Eigentlich könnte er längst zu Juro ans Feuer zurückkehren und das sollte er wohl.
Doch bisher ist es so gewesen, dass er die Kantorka nur aus der Ferne beobachtet hat, vom Straßenrand, und nun will er ihr in die Augen sehen.
Krabat wird eins mit dem Kerzenlicht, das die Kantorka vor sich herträgt. Nun ist er ihr nahe – so nah, wie er nie zuvor einem Mädchen gewesen ist. Er blickt in ein junges Gesicht, das sehr schön ist im strengen Rahmen von Stirnband und Häubchen. Die Augen sind groß und sanft, sie blicken auf ihn hernieder und sehen ihn nicht – oder doch?
Er weiß, dass es höchste Zeit ist, ans Feuer zurückzukehren. Aber die Augen des Mädchens, die hellen Augen im Kranz der Wimpern, halten ihn fest, er kommt nicht mehr los davon. Die Stimme der Kantorka hört er nur noch von fern, sie ist ihm jetzt nicht mehr wichtig, seit er ihr in die Augen sieht.
Krabat weiß, dass es auf den Morgen zugeht: er kann sich nicht trennen. Er weiß, dass sein Leben verspielt ist, wenn er sich nicht zur rechten Zeit losmacht und heimkehrt: er weiß es – und schafft es nicht.
Bis ein plötzlicher, greller Schmerz ihn durchzuckt, der wie Feuer brennt und ihn jäh hinwegreißt.
Krabat fand sich am Waldrand wieder, bei Juro. Auf seinem Handrücken lag ein glühendes Stückchen Holz, rasch schüttelte er es ab.
»O Krabat!«, rief Juro. »Das habe ich nicht gewollt! Du bist mir auf einmal so merkwürdig vorgekommen, so anders als sonst – da hab ich dir ins Gesicht geleuchtet, mit diesem Span da. Wer konnte denn wissen, dass dir die Glut auf die Hand fällt … Zeig her, ob es schlimm ist!«
»Es geht«, sagte Krabat.
Er spuckte auf die verbrannte Stelle. Wie dankbar er Juro war für sein Ungeschick, durfte er ihm nicht zeigen. Ohne sein Zündeln säße er jetzt nicht hier, gewiss nicht. Der Schmerz auf dem Handrücken hatte bewirkt, dass Krabat sich in Gedankenschnelle mit seinem Körper vereinigt hatte – um keine Minute zu früh.
»Es tagt«, sagte Krabat, »wir wollen die Späne schneiden.«
Sie schnitten
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