Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
begraben.
Freitag, 6 . September, 22 . 35 Uhr
Der kleine Hund unserer Nachbarin Elisabetta ist verschwunden. Heute Abend wollte Benedetta unbedingt von mir wissen, in welchen Ländern man Hundefleisch isst. Ich sagte ihr, dass ich das nicht wüsste. Daraufhin überraschte sie mich mit einer seltsamen Frage: »Isst dein albanesischer Freund Katzen- und Hundefleisch?« Ich habe ihr geschworen, dass Parviz in seinem ganzen Leben noch nie Katzenoder Hundefleisch gegessen habe. Diese alte Frau ist von entwaffnender Leichtgläubigkeit.
Mittwoch, 17 . November, 23 . 27 Uhr
Heute hat mir Benedetta ein sehr delikates Geheimnis verraten. Sie flüsterte, um von den anderen nicht gehört zu werden: »Das Verschwinden des kleinen Valentino ist kein Zufall. Er ist von chinesischen Kindern entführt worden, die im Park auf der Piazza Vittorio spielen! Katzen und Hunde zu jagen, das ist für die ein Zeitvertreib, so wie wenn unsere Kinder Schmetterlinge fangen.« Dann empfahl sie mir, chinesische Restaurants zu meiden, weil deren Spezialität Reis mit Hundefleisch sei. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, vor ihr laut loszulachen, rannte die Treppen hinauf, schloss die Tür auf und habe endlich wie ein Verrückter losgeprustet. Und dann kam mir eine geniale Idee. Ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich an Elisabetta Fabianis Tür klopfen und ihr sagen würde: »Ich komme gerade von einem chinesischen Restaurant und habe dort Reis mit köstlichem Fleisch gegessen. Beim Gehen fragte ich den Besitzer des Restaurants, was denn das für Fleisch gewesen sei und er antwortete: Das war Fleisch von einem kleinen Hund, den wir dieser Tage in der Nähe unseres Lokals gefunden haben. Er trug ein Halsband mit der Aufschrift Valentino.« So hab ich schon sehr lange nicht mehr gelacht. Aber ich hoffe natürlich, dass der kleine Valentino bald wieder nach Hause kommt. So könnte ich ihm nachts wieder beim Jaulen zuhören.
Samstag, 7 . Januar, 23 . 48 Uhr
Benedetta beschwert sich ständig über alles: über die Hausbewohner, die Regierung, die Händler an der Piazza Vittorio, dreckige Toiletten, überhöhte Preise für Medikamente, über die Steuern, den Regen, die Immigranten. Heute hat sie mir von ihrem Sohn Gennaro erzählt, der arbeitslos ist. Sie bat mich, ihr dabei zu helfen, eine Stelle für ihn zu finden, und wiederholte dabei immer wieder, dass Verwandte wie Schuhe seien, »je enger, desto unbequemer«, oder sie sprach von den parenti serpenti, der buckligen Verwandtschaft, die manchmal giftig sei wie Schlangen. Dieses Sprichwort erinnert mich an die arabische Redensart von den Verwandten und ihren skorpionischen Eigenschaften. Als sie mit ihren Auslassungen über Gennaro fertig war, begann sie mit ihrer üblichen Leier über die Ausländer, derentwegen es auf der Piazza Vittorio drunter und drüber gehe und darüber, warum die Polizei Halunken wie Iqbal, den Pakistaner, nicht verhafte, der doch mit Drogen handle und über einen Prostitutionsring gebiete. Was sie nicht weiß oder wissen will, ist, dass Iqbal Bengale ist und kein Pakistani, dass er kein Drogendealer ist und nichts mit Prostitution zu tun hat. Iqbal ist Mitglied einer Genossenschaft von 50 Bengalen und weder der Lieferwagen noch sein Laden gehören ihm. Einen, der so arbeitet wie er, habe ich noch nie gesehen. Er ist eine menschliche Arbeitsbiene. Erst wollte ich Benedetta auf den tatsächlichen Stand der Dinge bringen und ihr alles erzählen, was ich über Iqbal weiß. Aber dann dachte ich: Wozu? Es ist ganz und gar unnötig, die Wahrheit zu kennen. Mein einziger Trost ist dieses nächtliche Geheul. Auuuuuuuuu …
Dienstag, 26 . Oktober, 22 . 53 Uhr
Am Vormittag sagte Benedetta: »Heute werden wir das endgültige Urteil über Giulio Andreotti erfahren. Ich habe kein Vertrauen zu diesen Mafia-Kronzeugen, die rechtschaffene Personen wie Andreotti beschuldigen, bloß um Schicksal zu spielen.« Sie erwartet das Urteil mit großer Furcht, will aber doch die Wahrheit wissen über die Beziehungen zwischen Staat und Mafia. Heute Abend habe ich
Der Tag der Eule
von Leonardo Sciascia fertig gelesen, der ja als einer der schönsten Romane über die Mafia gilt. Bei diesen Zeilen habe ich lange verweilt: »Die Wahrheit ruht auf dem Grunde eines Brunnens. Sie schauen in den Brunnen und sehen die Sonne oder den Mond. Aber wenn Sie sich hinabstürzen, ist dort weder die Sonne noch der Mond, sondern die Wahrheit.«
Die Wahrheit des Iqbal Amir Allah
Signor Amedeo ist
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