Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
bist, der etwas vergessen hat? Und der nicht zuhört? Kann diese
blöde Messe nicht einen Tag ohne dich auskommen, musst du unbedingt heute noch los? Heute?“
Die anfängliche Enttäuschung war hörbar der Wut gewichen. Es klang nach der Sorte Wut, die aus vielen kleinen Unglücklichkeiten wächst und nicht schnell verraucht. Vor
ein paar Minuten hatte Dirk nur traurig ausgesehen, jetzt blitzten seine Augen aufgebracht. Die Falte zwischen seinen Brauen wurde tiefer, als sein Gegenüber herzlich wenig Schuldbewusstsein
an den Tag legte.
„Diese blöde Messe sorgt dafür, dass wir unsere Rechnungen bezahlen können!“, schnauzte Torben und sprang auf. Er riss an seinem Kragen und versuchte, den
Krawattenknoten zu lockern. Auf seinen Wangen erschienen hektischrote Flecken. „Ich denke, das ist ein bisschen wichtiger als irgendwelche Jahrestage. Also hör auf, mir eine Szene
machen. Ich habe jetzt keinen Kopf für sowas.“
Die Küchentür flog zu, dass der Glaseinsatz leise schepperte.
Wäre ihm etwas Passendes eingefallen, hätte Dirk es Torben hinterhergebrüllt. Aber sein Kopf war leer, mit einem Mal, und seine Hand brauchte plötzlich mehr Halt als ein
Stück Baumwolle. Glücklicherweise war die Kante der Arbeitsplatte nicht weit.
Es war an sich nicht schlimm, Termine zu vergessen. Aneinander vorbeizuplanen, sich nicht gut abzustimmen. Weder er noch Torben waren dem Kalender sklavisch ergeben.
Schlimm hingegen war die Art, wie sie seit einiger Zeit mit solchen Missgeschicken umgingen.
Dirk verspürte nicht den Wunsch, noch einmal mit seinem Freund zu reden oder sich von ihm zu verabschieden. Er hörte die Dusche rauschen, das Geräusch der Schranktüren und
Torbens aufgesetztes Pfeifen. Es erklang grundsätzlich dann, wenn er schlechte Laune hatte. Zu oft in letzter Zeit, für Dirks Geschmack.
Bedrückt und ohne viel Lärm räumte er den Tisch ab. Während er die sauberen Teller im Schrank verstaute, vernahm Dirk Schritte im Flur. Kurz keimte die Hoffnung in ihm auf,
Torben käme herein und würde sich entschuldigen.
Die Küchentür blieb zu, stattdessen fiel die Wohnungstür überlaut ins Schloss.
War es möglich, dass die ätherischen Dämpfe frisch geschnittener Gemüsezwiebeln erst Stunden später ihre augenreizende Wirkung entfalteten? Der Pfanneninhalt -
Brathuhn mit frischer Salbei-Zwiebelfüllung - landete im Mülleimer. Dirk war der Appetit vergangen.
* * *
Ibuprofen? Abgelaufen. Aspirin? Kein Blister mehr in der Schachtel.
Mit fliegenden Händen durchwühlte Torben die Hausapotheke und warf zwischendurch ängstliche Blicke zu dem Häufchen Elend, das auf dem Badewannenrand kauerte.
Dirk hockte dort, zusammengekrümmt, beide Hände an der linken Wange, mit verquollenem Gesicht.
Die Zahnschmerzen waren wie aus dem Nichts über ihn gekommen, hatten sich binnen kürzester Zeit verschlimmert und machten keine Anstalten, nachzulassen. Kühle Tücher halfen
ebenso wenig wie warme, und Dirk hielt es mittlerweile weder im Liegen noch im Sitzen aus. Rastlos tigerte er durch die Wohnung, lehnte sich hier gegen einen Schrank, hing dort auf einer
Sesselkante und jammerte kläglich vor sich hin. Die Idee, nachts um drei mit Zahnweh in eine Notaufnahme zu fahren, schien ihm nicht verlockend.
„Du, wir haben keine Schmerzmittel mehr. Das überlagerte Zeug kannst du nicht nehmen. Ich überlege mir was, ja?“
Hilflos kniete Torben sich vor Dirk hin und streichelte ihm über die Schultern. Er wollte ihm einen aufmunternden Blick schenken, fühlte sich aber selbst so elend, dass er lieber
schnell das Bad verließ. Wer sah schon gern seinen Liebsten leiden?
Einer plötzlichen Eingebung folgend eilte Torben in die Küche und begann, das Regal mit den Würzmischungen zu durchwühlen. Irgendwo zwischen Curry und getrocknetem Knoblauch
hatte er sie gesehen, die Nelken. Sogar er wusste, dass es bei Zahnschmerzen half, eine Nelke zu kauen. Die mussten doch da sein, zum Kuckuck!
Seine Suche blieb erfolglos. Keine Nelken für den gequälten Patienten.
Wie zum Hohn schlich Dirk im Moment der Erkenntnis an ihm vorbei.
„Die Nelken waren schimmlig. Musste ich wegtun …“, presste er gepeinigt hervor und setzte sich ächzend aufs Fensterbrett. Durch die weit geöffneten
Glasflügel kam frische Herbstluft herein, wehte über Dirks heißes Gesicht und schien ihm kurzzeitig Linderung zu verschaffen.
„Was mache ich denn jetzt mit dir?“
Torben hatte den inzwischen recht stattlichen
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