Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
zwischen ihnen hatte sich geändert, schleichend, unbemerkt. War das unvermeidlich, wenn Beziehungen zur Routine wurden? Redeten alle Paare nach einer gewissen Zeit auf diese latent
streitsüchtige Art miteinander? War es normal, oder hatte sich etwas zwischen Torben und ihm geändert? Etwas Grundlegendes?
Dirk war sich nicht sicher, ob nur er sich an ihren aktuellen Umgangsformen störte. Er wusste auch nicht, wie er es ansprechen sollte, ohne etwas zu dramatisieren, das vielleicht gar nicht
da war. Aber gerade jetzt verspürte er den Drang, etwas zu tun.
Entschlossen drehte er sich um, blieb aber angelehnt an der Fensterbank stehen. Sein Blick fiel auf Torbens rotbraunen Wuschelkopf, der aus dem Vorratsschrank auftauchte. Offensichtlich war sein
Freund trotz Sandwich unterzuckert; so gierig, wie er sich über den Müsliriegel hermachte.
Dirk war schleierhaft, wie Torben sein Gewicht hielt und so unverschämt knackig blieb, obwohl er ständig zwischen den Mahlzeiten naschte. Er selbst musste sich bestimmt nicht hinter
seinem sportlich gebauten Freund verstecken, aber das lag vor allem daran, dass er mit großer Aufmerksamkeit auf seine Ernährung achtete.
Für einen Moment war Dirks Gehirn abgelenkt von dem, was er sah. Sein Blick streichelte über den schön proportionierten Körper, blieben an einem Stück Oberarm, dem
schwarzen Ledergürtel in den Schlaufen der Jeans und kräftigen Oberschenkeln hängen.
Bevor er ernsthaft Appetit bekam, fand Dirk zu seinem ursprünglichen Anliegen zurück und suchte Kontakt mit den graugrünen Augen auf der anderen Seite der Küche.
„Was motzt du eigentlich herum, hm? Solange ich den Einkauf bezahle, kann dir doch egal sein, was ich mitbringe. Ja, es war der letzte Salbei-Topf. Und wenn es dich beruhigt:
Preisreduziert war er auch. Er braucht nur ein bisschen Wasser und Sonne und Pflege, dann wächst der schon.“
So ganz war der versöhnlich gemeinte Tonfall nicht gelungen. Dirk zweifelte selbst, ob seine Worte ein günstig gewählter Einstieg für ein ernsthaftes Beziehungsgespräch
waren. Trotzdem war alles besser, als zu schweigen.
Leider schien Torben nicht in der Stimmung, sich für sein übellauniges Geblubber zu rechtfertigen. Er zuckte mit den Schultern und gab ein desinteressiertes Geräusch von sich.
„Kauf doch, was du willst. Wenn›s dich glücklich macht, das Ding zu päppeln, mach das. Ich gehe lesen.“ Damit verließ er den Raum.
Ratlos sah Dirk seinem Lebensgefährten nach. Dann betrachtete er eingehend die kahlen, blassen Stielchen im Pflanzgefäß. Leise beschlich ihn das Gefühl, dass nicht nur der
Kräuterbusch gepäppelt werden musste.
* * *
Drei Abende später jagten Torben und Dirk sich halb nackt durch die Wohnung, als hätte es nie eine Missstimmung zwischen ihnen gegeben.
„Auf gar keinen Fall ziehst du morgen dieses Hemd an!“, schmetterte Torben in vermeintlichem Zorn und versuchte, Dirk besagtes Kleidungsstück zu entreißen.
Der hatte sich auf die Couch gerettet, hielt das dunkelblaue Stoffknäuel hoch über dem Kopf und bemühte sich, die Balance zu halten und nicht auf die Polster zu fallen,
während Torben an ihm zerrte.
„Aber es sieht gut aus, und ich muss morgen gut aussehen. Ich werde doch meine Doktorarbeit nicht in Lumpen verteidigen“, rief Dirk lachend, entwischte, sprang von der Couch und lief
mit langen Schritten den Flur hinunter; den Verfolger dicht auf den Fersen.
In der Küche tobten sie unter hitzigen, aber nicht unzärtlichen Beschimpfungen in bester Mantel-und-Degen-Manier um den Holztisch.
Das Spiel war vorbei, als Dirk sich mit lautem Knall die linke Hüfte an einer Ecke stieß. Mit gequälter Mine humpelte er ein paar Schritte und rieb sich die schmerzende Stelle.
Das Hemd hing - plötzlich unbeachtet - unordentlich über einer Stuhllehne.
„Hier, pack das mal drauf.“
Fürsorglich reichte Torben seinem Freund ein Gelkissen aus dem Tiefkühlfach. Mit sachter Hand half er, die dunkle Anzughose von der geprellten Hüfte zu schieben und betrachtete
die verletzte Stelle.
„Wird ein hübscher blauer Fleck, schätze ich“, diagnostizierte er und drückte Dirk einen tröstenden Kuss auf die Nase. „Hättest du mal auf mich
gehört und das hellgraue Hemd ausgesucht, dann wäre das alles nicht passiert“, setzte er grinsend nach.
Mehr als ein wehleidiges Stöhnen erntete er nicht für diese Aussage. Allerdings lehnte Dirk den warmen, nackten Oberkörper gegen seinen, legte den Kopf
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