Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
er dem Mann vor den Latz und kehrte demonstrativ an seinen Arbeitstisch zurück.
Kaum nahm er die Farbpistole zur Hand, umschlossen Marcels lange, schlanke Finger seinen Unterarm. Rainer zuckte heftig zusammen, als er die Wärme des anderen direkt auf seiner Haut
spürte.
„Junge, dreh mir niemals den Rücken zu, wenn ich mit dir rede“, hauchte der größere Mann ihm ins Ohr. Mit den Fingerspitzen strich er sachte an Rainers Arm entlang.
Die federleichte Berührung jagte ihm lustvolle Schauer über den Körper.
„Wir treffen uns um elf Uhr hier an der Werkstatt. Solltest du nicht auftauchen, hole ich dich zuhause ab und ja, ich weiß, wo du wohnst.“
Ehe Rainer reagieren konnte, hatte Marcel schon mit raumgreifenden Schritten den Ausgang erreicht und die Tür hinter sich geschlossen.
„Der Typ hat doch einen Knall. Was denkt der denn, wer er ist?“, schimpfte Rainer laut vor sich hin.
Die Lust am Musikhören war ihm vergangen. Leise vor sich hin murrend widmete er sich erneut seiner Arbeit. Erst als ihm die Augen brannten und er vor Müdigkeit fast umfiel, fuhr er
nach Hause.
Total erledigt fiel er später ins Bett. An Schlaf war jedoch nicht zu denken. Immer wieder ging ihm das Zusammentreffen mit Marcel durch den Kopf. Was wollte der Kerl von ihm? Warum war er
so begeistert, mit ihm gemeinsam auf Tour zu gehen? Der Typ hatte doch selbst zugegeben, dass Biker nicht gerne als Sozius fuhren. Warum war er ihm so auf die Pelle gerückt? Warum hatte er ihn
so verführerisch gestreichelt?
Warum? Warum? Warum? Rainers Gedanken drehten sich im Kreis.
Irgendwann musste er doch eingeschlafen sein. Das unerbittliche Klingeln des Weckers riss ihn aus einem seltsamen Traum. Er war eine schnurgerade Landstraße entlang gebraust. Ein
muskulöser Körper hatte sich dabei an seinen Rücken geschmiegt. Bisher hatte er immer allein auf seiner Schönen gesessen.
Woher nahm sein Hirn die Bilder und Gefühle, die ihm der Traum vermittelt hatte? War hier der Wunsch der Vater des Gedankens? Wollte sein Unterbewusstsein ihm vermitteln, dass er Marcels
harten, warmen Körper begehrte?
* * *
Bei einem schnellen Frühstück überlegte Rainer, die Verabredung platzen zu lassen. Den ganzen Tag mit diesem Mann zu verbringen, erschien ihm bereits jetzt wie ein Albtraum. Sie
würden sich viel zu nah kommen. Der ständige Körperkontakt würde ihm das letzte bisschen Beherrschung abverlangen. Rainer traute sich selbst nicht über den Weg. Würde
es ihm gelingen, seine Finger im Zaum zu halten?
Was, wenn Marcel gar nicht schwul war? Er die Signale falsch verstand? Rainer konnte dabei nur verlieren. Dazu kam, sie waren beide dominant. Rainer konnte sich nicht vorstellen, dass er es
schaffen würde, sich einem anderen Mann zu unterwerfen.
Als sein Handy klingelte, nahm er den Anruf ganz automatisch entgegen. Bestimmt ein Kunde, den es nicht juckte, dass Wochenende war. Die sonore Stimme, die ihm ins Ohr schnurrte, versetzte seine
Libido umgehend in Aufruhr.
„Ich wollte dich an unsere Verabredung erinnern. Die Idee, mich zu versetzen, ist nicht gut.“
Mit einem leisen, sinnlichen Lachen unterbrach der Drecksack die Verbindung, ehe Rainer überhaupt Luft holen konnte.
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“, schrie er laut und konnte sich gerade noch davon abhalten, das Handy an die Wand zu knallen.
Die Würfel waren gefallen. Er würde sich dieser Situation stellen. Egal wie, er musste diesen Mann aus seinem Kopf bekommen. Wenn das bedeutete, sich zu blamieren oder zu unterwerfen,
dann sollte es so sein.
Die Zeiger der Küchenuhr sagten ihm, dass er noch Zeit für einen zweiten Kaffee hatte, bevor er sich auf den Weg machen musste. Eine kleine Galgenfrist, um seine Gefühle wieder in
den Griff zu bekommen.
Pünktlich auf die Minute brauste Rainer auf den Parkplatz vor der Werkstatt. Mit einem eleganten Schlenker drehte er die Maschine so, dass er direkt vor dem wartenden Mann zum Stehen kam.
Dessen Mut musste Rainer Respekt zollen. Marcel hatte weder gezuckt, noch war er auch nur einen Millimeter zurückgewichen.
„Fährst du immer so?“
„Japp. Hast du Schiss? Dann kann ich ja wieder abhauen.“
Laut lachend setze der Mistkerl den Helm auf und antwortete: „Das hättest du wohl gerne.“
Er reichte Rainer ein Paar Kopfhörer und steckte das Ende des Kabels in ein Funkgerät.
„Schieb dir die Dinger in den Helm, dann kann ich dir unterwegs Anweisungen geben, wohin wir fahren.“
Missmutig folgte
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