Kraft des Bösen
Möglichkeit gelassen hatte, anderswohin zu gehen. Gentry hatte kaum andere Erwachsene auf den kalten Straßen gesehen; die wenigen waren stumme Frauen, die wie geprügelte Hunde durch die Straßen geeilt waren und Besorgungen gemacht hatten, alte Männer, die ziellos herumschlenderten, und die unausweichlichen Penner auf abfallübersäten Gehwegen vor den Geschäften. Er hatte gewußt, daß dies nicht die wahre Gemeinschaft war, daß es im Sommer auf den Straßen von Familien und Kindern, die Seilhüpfen spielten, wimmeln würde, von Teenagern, die Basketball spielten, und jungen Männern, die lachend an polierten Autos lehnten. Er hatte gewußt, daß die alptraumhafte Einsamkeit eine Folge der Kälte war, der neuen Gewalt auf den Straßen und der Anwesenheit einer eingedrungenen Armee, die sich für unsichtbar hielt, aber mit Stevies Ankunft war dieses Wissen Wirklichkeit geworden. Gentry kam sich einsam und verloren an einem fremden Ort vor, wo er mit Kindern als Verbündeten gegen erwachsene Gegner kämpfte, die alle Macht in Händen hielten.
»Sie sind da, Mann«, flüsterte Leroy.
Drei tiefergelegte Automobile kamen mit quietschenden Reifen auf der Straße am anderen Ende der Gasse zum Stillstand. Junge Männer stiegen aus, lachten, sangen, riefen auf spanisch durcheinander. Mehrere gingen zu dem Lieferwagen und fingen an, mit Baseballschlägern und Rohren auf die Seiten einzuschlagen. Die Lichter des Fahrzeugs wurden eingeschaltet. Jemand im Innern schrie. Drei Männer sprangen aus der Seitentür des Lieferwagens heraus; einer feuerte eine Schrotflinte in die Luft.
»Kommt«, zischte Marvin.
Die Reihe der Bandenmitglieder sprintete lautlos zwanzig Meter die Gasse entlang, wobei sie sich dicht an Garagen und Zäunen hielt. Sie verweilten auf einem freien Gelände hinter einem Schuppen, die meisten lehnten sich an einen niederen Metallzaun. Aus der Richtung des Lieferwagens ertönten weitere Schreie. Gentry hörte, wie die Autos Richtung Germantown Avenue beschleunigten.
»Grumblethorpe«, sagte Leroy, worauf Gentry zwischen den Zaunstäben durchsah und einen kleinen Garten, große kahle Bäume und die Rückseite eines Steinhauses erblickte.
Marvin kam näher gekrochen. »Sie haben Gitter an den Fenstern im ersten Stock. Eine Tür hinten. Zwei vorne. Wir stürmen von beiden Seiten rein. Kommt.« Marvin, Leroy, G. B., G. R. und zwei andere huschten über den Zaun wie Schatten. Gentry versuchte ihnen zu folgen, blieb an zerrissenem Draht hängen und landete schwer auf dem gefrorenen Boden auf einem Knie. Er zog die Ruger aus der Tasche und beeilte sich, um wieder aufzuholen.
Marvin und G. B. winkten ihn zur Seite des Hauses. Beide trugen plumpe Schrotflinten, Marvin hatte sich ein rotes Taschentuch um Stirn und Afro gebunden. »Wir übernehmen die Türen auf der Straßenseite.«
Zwischen dem Steinhaus und dem Imbiß nebenan befand sich ein einszwanzig hoher Holzzaun. Die drei warteten, bis eine leere Straßenbahn vorbeigerumpelt war, dann kickte Leroy das Tor auf, worauf er und G. B. gelassen und dreist an den Läden vor den Fenstern vorbei zu den beiden Türen schritten. Niedrige Geländer befanden sich auf beiden Seiten jeder Tür. Ein Kellerabgang mit Vorhängeschloß verlief fast bis zum Gehweg. Gentry trat zurück und sah an der Fassade des alten Hauses hinauf. Hinter keinem der neun Fenster war Licht zu erkennen. Germantown Avenue war verlassen, abgesehen von der Straßenbahn, die sich zwei Blocks westlich entfernte. Grelle >Anti-Verbrechens-Straßenlampen< warfen gelbliches Licht auf Ladenfassaden und Backsteinmauern. Die Nacht verströmte einen späten, kalten Geruch.
»Los«, sagte Marvin. G. B. ging zur Westtür und trat fest dagegen. Das massive Eichenholz gab nicht nach. Marvin nickte, worauf die beiden die Schrotflinten durchluden, zurücktraten und auf die Schlösser schossen. Splitter flogen, Gentry wirbelte herum und schützte instinktiv die Augen. Die beiden schossen noch einmal, und als Gentry sich wieder umdrehte, konnte er gerade noch sehen, wie die Westtür umkippte. G. B. grinste Marvin an und hielt die Faust zum Siegeszeichen hoch, als ein winziger roter Punkt auf seiner Brust erschien und weiter zur Kopfseite hochwanderte. G. B. sah auf, griff sich an die Stirn, so daß der Punkt auf seinem Handrücken sichtbar wurde, und sah mit einem Ausdruck gelinder Überraschung zu Marvin hinüber. Der Schuß hörte sich leise und wie aus der Ferne an. Der Körper von G. B, wurde gegen die
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