Kraft des Bösen
Natalie fuhr auf dem Weg daran vorbei, den Südhang des Hügels hinab zu einem kleinen geweißelten Bungalow am Rand eines Orangenhains. Die Aussicht war unvorstellbar. Im Westen, hinter Hainen und Feldern, lagen Sanddünen und Ruinen und die unablässigen Wellen des blauen Mittelmeers. Im Süden ragten im Hitzeflimmern der Ferne die bewaldeten Klippen von Netanya auf. Im Osten lagen eine Reihe Hügel und das Sharontal, wo es nach Orangen duftete. Im Norden, hinter den Burgen der Tempelritter, Festungen, die schon zu Salomons Zeiten alt gewesen waren, und der grünen Kuppe des Berges Karmel, lag Haifa mit seinen engen Straßen aus Schwemmstein. Natalie war froh, daß sie wieder hier sein konnte.
Saul hielt ihr die Tür auf, als sie ihre Koffer nach drinnen trug. Die Unterkunft war noch genau so, wie sie sie vor acht Tagen verlassen hatte; kleine Küche und Eßzimmer in einem langen Raum mit Kamin vereint: ein einfacher Holztisch mit drei Stühlen, ein Sessel beim Kamin, kleine Fenster, durch die strahlender Sonnenschein auf die geweißelten Wände fiel, und zwei Schlafzimmer. Natalie trug ihre Koffer in ihr Zimmer und warf sie auf das große Bett. Saul hatte frische Blumen in die weiße Vase auf dem Nachttisch gestellt.
Er kochte gerade Kaffee, als sie ins Wohnzimmer kam. »Gute Reise gehabt?« fragte er. »Keine Probleme?«
»Keine Probleme«, sagte Natalie. Sie legte einige Dossiers auf das rauhe Holz des Tisches. »Sarah Hapshaw bekommt alle fernen Länder zu sehen, die Natalie Preston nie gesehen hat.«
Saul nickte und stellte eine große Tasse schwarzen Kaffee vor sie hin.
»Irgendwelche Probleme hier?« fragte sie.
»Keine«, sagte Saul. »Ich habe auch nicht damit gerechnet.«
Sie tat Zucker aus einer Schüssel in den Kaffee und rührte um. Sie stellte fest, daß sie sehr müde war. Saul nahm ihr gegenüber Platz und tätschelte ihr die Hand. Obwohl sein hageres Gesicht von Fältchen und Runzeln durchzogen war, fand sie, daß er jünger aussah, seit er sich den Bart abgenommen hatte. Vor drei Monaten. Vor Jahrhunderten.
»Neuigkeiten von Jack«, sagte er. »Möchten Sie gern einen Spaziergang machen?«
Sie sah ihren Kaffee an.
»Nehmen Sie ihn mit«, sagte Saul. »Wir gehen in Richtung Hippodrom.« Er stand auf und ging kurz ins Schlafzimmer. Als er zurück kam, trug er ein weites Khakihemd, dessen Zipfel heraushingen. Es konnte die Wölbung der 45er Automatik in seinem Hosenbund nicht völlig verbergen.
Sie gingen nach Westen, bergab, an Zäunen und Orangenhainen vorbei bis zu der Stelle, wo sich Sanddünen den kultivierten Feldern und grünen Privatgrundstücken der Villen näherten. Saul stieg von der Kuppe einer Düne auf ein Aquädukt, das sich sieben Meter über den Sand erhob und sich meilenweit bis zu einer Gruppe Ruinen und neuer Häuser beim Meer erstreckte. Ein junger Mann im weißen Hemd lief auf sie zu, rief und fuchtelte mit den Armen, aber Saul sprach leise auf Hebräisch auf ihn ein, worauf der Mann nickte und sich abwandte. Saul und Natalie schlenderten auf der unebenen Krone des Aquädukts dahin.
»Was haben Sie zu ihm gesagt?« fragte Natalie.
»Ich habe erwähnt, daß ich mit der Dreieinigkeit Frova, Avi-Yonah und Negev bekannt bin«, sagte Saul. »Die drei machen seit den fünfziger Jahren hier Ausgrabungen.«
»Ist das alles?«
»Ja«, sagte Saul. Er blieb stehen und sah sich um. Rechts von ihnen lag das Mittelmeer; eine Meile voraus spiegelte sich das Licht der Nachmittagssonne auf einem Gewirr neugebauter Häuser.
»Als Sie mir von Ihrem Haus hier erzählt haben, hatte ich mir eine Hütte in der Wüste vorgestellt«, sagte Natalie.
»Das war es, als ich gleich nach dem Krieg hierhergekommen bin«, sagte Saul. »Zuerst bauten und vergrößerten wir die Kibbuze Gaash, Kfar, Vitkin und Ma’agan Mikhael. Nach dem Unabhängigkeitskrieg haben David und Rebecca hier ihre Farm aufgebaut .«
»Es ist ein Anwesen!« sagte Natalie.
Saul lächelte und trank den Rest Kaffee. »Das Wohnhaus der Rothschilds ist ein Anwesen. Das ist jetzt das Fünf-SterneHotel Dan Caesarea da unten.«
»Ich liebe die Ruinen«, sagte Natalie. »Das Aquädukt, das Theater, die Kreuzritterstadt, das ist alles so ... alt .«
Saul nickte. »Dieser Eindruck verschiedener Zeitalter hat mir gefehlt, als ich in Amerika war.«
Natalie nahm die rote Schultertasche ab, die sie getragen hatte, und packte die Tassen hinein, die sie sorgfältig in ein Handtuch wickelte. »Ich vermisse Amerika«, sagte sie. Sie
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