Krampus: Roman (German Edition)
den Raben empor. »Es muss getan werden.«
»Was? Nein, das ist eine ganz schlechte Idee. Solchen Typen darf man nicht trauen …«
»Gib ihm das Gewehr. Das ist ein Befehl.«
Vernon verzog das Gesicht, als hätte er sich auf eine Reißzwecke gesetzt, aber er nahm die Hände von der Waffe.
Jesse lehnte das Gewehr an sein Knie, öffnete den Werkzeugkasten und kramte eine Schachtel Patronen hervor. Fünfzehn Stück schob er ins Magazin, dann spannte er den Hahn und steckte eine ins Patronenlager. Dann kehrte er auf die Lichtung zurück.
Er hielt nach den Raben Ausschau und entdeckte sie in schätzungsweise zweihundert Metern Höhe. Bei so großen Tieren war es kein schwerer Schuss, zumindest nicht mit diesem Gewehr. Wenn man eine Waffe lange genug verwendet, wird sie irgendwann zu einer Verlängerung des eigenen Arms, und Jesse hatte sein halbes Leben mit dem alten 22er Henry verbracht. Einmal hatte er damit sogar eine Hummel aus der Luft geschossen. Er stützte das Gewehr mit der Schulter, nahm einen der Raben ins Visier, zog den Lauf leicht nach oben, um die Entfernung auszugleichen, und schoss. Der Rückstoß fühlte sich an wie ein Klaps von einem alten Freund, dann stoben Federn auf. Es war ein sauberer Treffer, und der Rabe stürzte herab. Der verbliebene Vogel stieß einen durchdringenden Schrei aus und flatterte hektisch davon, aber Jesse hatte ihn bereits anvisiert. Er drückte zweimal schnell hintereinander ab. Der erste Schuss ging daneben, aber der zweite traf den großen Vogel am Flügel, woraufhin er federlassend Richtung Erdboden trudelte.
Jesse lud erneut durch, drehte sich um und richtete die Waffe auf Krampus. »Weg von meinem Wagen. Das gilt für euch alle.«
Die Belznickel erstarrten, die Augen auf Jesse geheftet. Nur Krampus würdigte ihn kaum eines Blickes. Stattdessen beobachtete er, wie die großen Vögel vom Himmel fielen. Ein Rabe landete auf der Lichtung, der andere fünfzig Meter weiter auf der Straße. »Makwa, bring sie mir.«
Makwa starrte weiter Jesse an, wobei er die mächtigen Hände zu Fäusten ballte und wieder öffnete. Jesse begriff, dass der große Shawnee ihn am liebsten in Stücke gerissen hätte.
»Makwa?«
Er versteifte sich.
»Das ist ein Befehl.«
Der Indianer bedachte Jesse mit einem letzten Blick, in dem das Versprechen eines schrecklichen Todes lag, und rannte die Straße entlang.
Mit dem Lauf deutete Jesse auf Krampus. »Hol deinen blöden Sack und verschwinde aus meinem Wagen. Ich sag’s nicht noch mal.«
Die vier verbliebenen Belznickel verteilten sich und kreisten Jesse langsam ein.
Jesse hob die Waffe an die Schulter. »Einen Schritt weiter, und ich puste ihm den Kopf vom Hals. Macht schon, verdammt noch mal. Traut euch.«
»Lasst ihn«, sagte Krampus ruhig. Sein Tonfall klang gelangweilt, geradezu geistesabwesend, und er schaute immer noch zu den Vögeln hinüber. »Zieht euch zurück. Das ist ein Befehl.«
Die Belznickel verharrten, traten einen Schritt zurück und wechselten verwirrte Blicke.
»Und jetzt raus aus meinem Wagen«, wiederholte Jesse.
»Ich dachte, du würdest es nicht noch einmal sagen?«
»Ich bin mir jedenfalls verdammt sicher, dass ich es kein drittes Mal sagen werde«, knurrte Jesse. »Da kannst du dich drauf verlassen.«
Krampus wandte ihm das Gesicht zu und lächelte. »Wir brauchen deine Hilfe.«
»Mir doch egal.«
»Nach allem, was ich gehört habe, scheinst du eine Menge Feinde zu haben.«
»Das geht dich nichts an.«
»Vielleicht brauchst du unsere Hilfe?«, sagte Krampus. »Vielleicht können wir einander gegenseitig helfen.«
»Glaube ich kaum.«
»Du hast meine Belznickel spielen sehen. Du weißt, wozu sie fähig sind. Was, wenn sie dir zu Gebote stünden? Wenn Blut vergossen werden muss, sind sie sehr kompetent.«
Jesse setzte zu einem Kopfschütteln an, doch dann hielt er inne. Er musterte die Teufelskreaturen, die Belznickel, mit ihren tödlichen Fingernägeln, ihren schreckenerregenden orangefarbenen Augen, dachte daran, wie sie seinen Wagen attackiert hatten, wie schnell und stark sie waren und wie leicht es ihnen gefallen war, Chet außer Gefecht zu setzen und Lynyrd zu töten. Verstohlene Geschöpfe der Nacht … sie könnten die Jungs des Generals einen nach dem anderen erledigen, bevor die auch nur wüssten, wie ihnen geschieht. Nach gestern Abend bestand für Jesse kein Zweifel, dass der General bereits sein Todesurteil unterzeichnet hatte. Er hatte gehört, wie Chet geschrien hatte, dass es eine
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