Krampus: Roman (German Edition)
warten.«
Jesse zog den Sack auf seinen Schoß und legte ihn auf das unverletzte Bein. Er hielt ihn mit dem linken Arm fest, wobei er darauf achtete, nicht mit den gebrochenen Fingern dagegenzustoßen. Die Männer beobachteten jede seiner Bewegungen. Er schluckte. Na schön, lieber Gott, Zeit, dass du dich für eine Seite entscheidest. Er schloss die Augen, dachte an die Waffen und schob die unverletzte Hand durch die Öffnung. Diesmal gab es keine Verzögerung, das Portal öffnete sich noch immer an denselben Ort wie beim letzten Mal. Er stieß mit der Hand gegen den Stapel Geldscheine, und, als er sich weiter vorantastete, gegen Metall – eine 45er. Jesse öffnete die Augen und stellte fest, dass sich alle über ihn beugten und zu erkennen versuchten, was er da tat. Er entsicherte die Waffe, legte die Finger um den Griff und befeuchtete die Lippen. Mit einem Mal war sein Mund staubtrocken. Langsam zog er den Arm heraus, wobei er Chets Hand auf seiner Schulter und das Messer in seinem Rücken spürte.
»Ich behalte dich im Auge.«
Diesmal machte niemand blöde Sprüche. Die Stimmung war umgeschlagen, und Jesse spürte, wie nervös alle waren.
Verdammt, dachte er, das wird nichts. Beinahe hätte er es einfach versucht und die Waffe trotzdem herausgezogen, doch dann hielt er inne. Nein, wenn du die Sache richtig anpackst, dann kommst du hier vielleicht noch raus. Er legte die 45er weg, nahm so viele Geldscheine in die Hand wie nur möglich und zog den Arm Zentimeter für Zentimeter aus dem Sack.
»So ist’s gut«, sagte Chet. »Schön langsam.«
Jesse öffnete die Hand und präsentierte das Bündel Scheine. Mehrere der Anwesenden schnappten hörbar nach Luft, und er kam sich schon vor wie ein Zauberkünstler auf der Bühne. Er überreichte dem General das Geld.
Der begutachtete die Scheine, schüttelte den Kopf und lächelte. »Gibt’s das?«
Zustimmendes Schnauben und zufriedenes Grinsen, einige klatschten sogar. Jesse überlegte, ob er sich verbeugen sollte. Stattdessen steckte er die Hand erneut in den Sack und zog noch eine Handvoll Geld heraus, danach noch eine. Er warf die Scheine auf den Boden, während er die Anwesenden beobachtete und wartete, bis sie alle in den Bann seines Zaubertricks geschlagen waren, darüber diskutierten, Witze machten und auf das Geld starrten. Jetzt, dachte Jesse. Er tastete erneut nach der Waffe, legte die Hand um den Griff und den Finger an den Abzug. Dann drehte er sich um und hob in einer schnellen Bewegung die Pistole, um Chet zu erledigen, bevor er ihn abstechen konnte. Aber die Waffe blieb in der Öffnung hängen, weshalb Jesse versehentlich abdrückte, ehe er sie ganz aus dem Sack bekommen hatte. Zwei gedämpfte Schüsse waren zu hören, aber die Kugeln drangen nicht durch den Samt, und Jesse wurde mit Entsetzen klar, dass er gar nicht auf Chet schoss, sondern durch die Kirche ballerte.
»Scheißdreck!«, brüllte Chet, als Jesse die Waffe von dem Sack befreite.
Er stieß Jesse das Messer in den Rücken und versetzte ihm einen Stoß. Mitsamt dem Stuhl und mit dem Gesicht nach unten landete Jesse in dem Geldhaufen. Im nächsten Moment war Chet auch schon über ihm und trat ihm auf die Hand, bevor er die Waffe heben konnte. Zwei Schüsse lösten sich und peitschten über den Betonboden. Die Männer sprangen beiseite, als Funken und Querschläger durch die Werkstatt stoben. Chet trat erneut zu. Jesse hörte, wie seine Finger brachen, und irgendwo in seinem Gehirn fand sich noch genug Platz, um diesen neuen Schmerz zusätzlich zu all der bisherigen Pein in vollem Glanz erstrahlen zu lassen. Er schrie und ließ die Waffe los, die Chet sofort quer durch den Raum trat.
Jesse lag in dem Geldhaufen, die Beine noch immer an den umgekippten Stuhl gefesselt, und hielt die beiden gebrochenen Hände vor die Brust. Jemand brüllte, aber durch das Klingen in seinen Ohren konnte er die Worte nicht verstehen. Als Chet ihm das Messer aus dem Rücken riss, schnappte Jesse nach Luft, doch es kam nur ein erstickter Laut heraus.
Ich sterbe, dachte Jesse und fand den Gedanken ungemein tröstlich.
***
»Heilige Scheiße!«, brüllte Chet. »Heilige Kackscheiße!«
Der General saß auf seinem Hocker, starrte Jesse, den Sack, das Geld und die Waffe an und versuchte, sich einen Reim auf das Ganze zu machen, ebenso wie auf all die anderen seltsamen Ereignisse der letzten beiden Tage. Er wünschte sich, dass Chet die Klappe halten und aufhören würde, auf und ab zu stampfen. Er beugte
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