Krank für zwei
tröstete mich Benno und grinste. »Außerdem stürmen bei Ihnen die Schülerinnen auch. Allerdings erst nach dem Unterricht. Und zwar nach draußen.«
12
Als die rote Flüssigkeit in den durchsichtigen Bauch der Spritze gesaugt wurde, wußte ich, daß es Probleme geben würde. Wenn ich schon beim Blutabnehmen mit Übelkeit zu kämpfen hatte, wie würde es dann erst beider Geburt unseres Kindes werden? In der Regel wurde dabei doch auch ganz schön gekleckert
»Nur noch ein Röhrchen«, sagte der Arzt mit schwerem russischen Akzent und wechselte den Spritzenaufsatz, damit noch ein weiteres Röhrchen gefüllt werden konnte. Ich blickte an die Zimmerdecke und konzentrierte mich darauf, daß die Übelkeit verschwand. Natürlich hatte ich sofort gewußt, mit wem ich es zu tun hatte. Dr. Wolkov, der Assistenzarzt, von dem Benno gesprochen hatte. Er wirkte sympathisch, da hatte Benno recht. Das Problem war nur, daß in Bennos Augen alle irgendwie nett waren. Zu nett, um sich gelegentlich eine Ampulle Morphium reinzuziehen? Zu nett, um einen Dr. Peuler, der ihnen auf die Schliche gekommen war, aus dem Wege zu räumen? Leider trug der Assistenzarzt einen langärmligen Kittel, der seine Armbeugen verbarg. Keine Chance, ein Einstichloch zu entdecken. Allerdings konnte ich mir auch kaum vorstellen, daß ein Mediziner sich in den Arm stechen würde. Da gab es doch sicherlich dezentere Möglichkeiten. Der menschliche Körper war schließlich groß genug.
»Dr. Lübke wird morgen die Operation vornehmen«, meinte Dr. Wolkov, um die Wartezeit zu überbrücken, »eine Routinesache, Sie brauchen keine Angst zu haben.«
»Hab’ ich auch nicht.« Ich lächelte gelassen und überlegte krampfhaft, wie ich das Gespräch thematisch umlenken konnte. »Mich wundert es, daß morgen überhaupt schon wieder operiert werden kann. Ich meine nach allem, was passiert ist.«
»Dieser tragische Zwischenfall wird schnellmöglich aufgeklärt werden, morgen wird alles nach Plan wieder anlaufen.« Allein die Wortwahl machte mir sofort klar, daß Dr. Wolkov die Slogans wiederholte, die den Patienten zur allgemeinen Beruhigung eingeflüstert werden sollten.
»Die Sache hat mich doch ganz schön mitgenommen«, versuchte ich es noch einmal. »Wie Sie vielleicht wissen, habe ich den Toten heute morgen gesehen. Und ich frage mich, wie kann jemand etwas so Grausames tun?«
»Wer weiß das schon?« Der russische Arzt zog die Nadel aus meinem Arm. Ein Gefühl der Erleichterung überkam mich.
»Dr. Peuler soll ein so liebenswürdiger Mensch gewesen sein. Wer bringt so jemanden um?«
Dr. Wolkov packte seine Utensilien zusammen. Er vermied weiteren Blickkontakt.
»Liebenswürdig«, wiederholte er langsam. Dann sagte er es noch mal. »Dr. Peuler. Liebenswürdig. Sicher.« Einen Moment später war Wolkov aus der Tür.
Interessante Reaktion. Stand der Mann noch unter Schock? Hatte ich ihn mit meinen Worten getroffen? Und wie war seine Reaktion zu verstehen? Hielt er Peuler tatsächlich für liebenswürdig oder gerade nicht? Der russische Arzt war schwer einzuordnen. Als es klopfte, stutzte ich. Hatte mir Wolkov noch etwas zu sagen?
»Ja?« Die Tür öffnete sich vorsichtig, durch den Türspalt sah ich zwei rosige Wangen und viel Schwarz. Schwester Gertrudis, die Sekretariatsnonne an meiner Schule.
»Ich störe doch nicht etwa?« Die Frage war nicht so ernst gemeint, denn Schwester Gertrudis war schon im Zimmer. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich freute. Nicht nur, weil Schwester Gertrudis per se Energie und Lebensfreude ausstrahlte, vor allem, weil mich sofort ein Gefühl von Altbekanntem durchströmte. Schwester Gertrudis war Schule. Schwester Gertrudis war Anstehen am Kopierer. Schwester Gertrudis war eine Tasse Kaffee, bevor die dritte Stunde begann.
»Herr Jakobs, was muß ich da über Sie hören?« Meine Lieblingsnonne zog sich den Besucherstuhl ans Bett.
»Ich kann wirklich nichts dafür«, beschwor ich. »Die Schmerzen fingen einfach an. Das ist so beim Blinddarm. Das geht ganz schnell. Aber morgen werde ich ja operiert. Ich denke, da kann ich am –«
»Wie konnten Sie Ihrer Frau das nur antun?« Schwester Gertrudis zog ein sorgenvolles Gesicht auf.
»Wie ich schon sagte. Das kam aus heiterem Himmel, aber ich bin sicher, wenn es mit der Geburt so weit ist.«
»Schon wieder ein Mordfall, was denken Sie sich eigentlich dabei?«
Oh nein! Ich ließ mich rückwärts ins Kissen fallen. Schwester Gertrudis war schon informiert.
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