Krank für zwei
Ihrer Betroffenheit, meine ich.«
»Danke ja. Danke sehr.«
Bergner versuchte zu lächeln.
»Wohl viel«, dachte ich, als ich mich auf den Weg zurück in mein Zimmer machte. »Wohl sehr, wohl viel. Auf Wiedersehen, Herr Bergner.«
22
Selbst als sich Alexa im Frisierstuhl niederließ, verließ sie nicht dieses seltsame Gefühl. Da war etwas – etwas Wichtiges, das bislang übersehen worden war. Ein Bild. Eine Erinnerung. Ein Hinweis. Es war schlimmer, als wenn ihr ein Name nicht einfiel. Der Name einer Person, von der sie schon lange nichts gehört hatte und die plötzlich wieder eine Rolle spielte. In der Regel wußte sie irgendwann, mit welchem Buchstaben der Name begann, etwas später fiel ihr ein, welcher Vokal darin vorkam, und viel später machte es dann klick , und er war da, der Name, einfach da – erst dann stellte sich Erleichterung ein. Nur der Weg dahin war gedächtniszermürbend. So ähnlich erging es ihr auch jetzt. Alexa wußte, daß die Sache mit Vincents Beobachtungen zu tun hatte. Mit der Art und Weise, wie er den Tatort beschrieben hatte. Es mußte mit dem Kreuz zusammenhängen, mit dem Kreuz, mit dem Kreuz. Irgendwann dachte Alexa dann nur noch Kreuz und Friedhof und Jesus und plus, und dann wußte sie, daß sie in einer Sackgasse gelandet war. Es war etwas anderes, etwas Lebendigeres, was Vincent da beschrieben hatte, etwas, das an ganz früher erinnerte, an ihre Kindheit vielleicht Es war zum Verrücktwerden.
»Herzchen, meinst du, deine Frisur ist noch zu retten?«
Alexa fuhr zusammen. Sie hatte gar nicht gemerkt, daß Ben hinter sie getreten war. Der Friseur trug die eigenen Haare heute blondiert und in verschiedene Himmelsrichtungen gegelt. Er betrachtete Alexas fettig-strähniges Haar und sah dabei ziemlich verzweifelt aus.
»Mach dir nicht die Mühe, bei meinen Haaren von Frisur zu sprechen«, antwortete Alexa schnodderig.
»Ach Mädchen, du könntest soviel aus dir machen«, Ben wuschelte mit dramatischem Gesichtsausdruck in ihren Haaren herum, »wenn du dir nur ein bißchen mehr Mühe geben würdest.«
»Ben, ich bin schwanger«, Alexa war jetzt aufgebracht, »mir ist klar, daß du dich bei Frauen allein für ihre Frisur interessierst. Also, wenn ich dich mal aufklären darf. Schwanger ist, wenn man ein Kind erwartet. Wenn der Hormonhaushalt in totaler Aufruhr ist. Wenn man so dick ist, daß man nicht mehr in deine zierlichen Frisierstühle paßt, und vor allem wenn einem die Haare in Fettkordeln vom Kopf hängen.«
Ben betrachtete seine Kundin im Spiegel ernst und aufmerksam. »Alexa, du hast deinen Zustand trefflich beschrieben.«
Bei jedem anderen Mann wäre Alexa entweder in Tränen ausgebrochen oder hätte wutentbrannt den Laden verlassen, doch von Ben war nichts anderes zu erwarten. Ben war ein Ästhet. Ben war unumwunden ehrlich. Aber Ben war im Grunde eine Seele von Mensch.
»Mach mich schön«, murmelte Alexa zerknirscht. »Oder besser: Mach mich wenigstens etwas schöner, als ich jetzt bin.«
Ben seufzte. »Ich werde mein Bestes geben!« Dann fing er an, an ihr herumzukämmen.
»Wie geht’s denn Vincent? Hat er schon die Hosen voll?« Ben konnte sein ironisches Grinsen kaum verbergen.
»Wie kommst du denn darauf? Vincent freut sich auf die Geburt. Auch wenn er gerade im Krankenhaus liegt, weil er den Blinddarm herausbekommen hat.«
Ben hörte auf zu kämmen und lächelte hämisch. Alexa betrachtete ihn vorwurfsvoll im Spiegel. Endlich hielt der Stylist die Zeit für gekommen, seinen Gesichtsausdruck zu erklären.
»Dir ist ja wohl klar, daß dein Typ elegant die Flucht ergriffen hat, oder?«
Alexa war sprachlos. Ben kannte Vincent kaum. Wie konnte er so etwas behaupten?
»Der will sich aus der Affäre ziehen, merkst du das denn nicht? Der hat Angst, daß er die Geburt nicht übersteht. Wahrscheinlich träumt er schon seit Wochen davon, daß er am Tag eurer offiziellen Vermehrung kläglich zusammenklappt.«
»Du bist unmöglich. Vincent hat damit überhaupt kein Problem.«
»Alexa«, Ben sah Alexa im Spiegel herausfordernd an. »Deinen Kerl und mich trennen Welten, das wissen wir beide. Aber in einem Punkt sind alle Männer gleich. Sie verpissen sich, wenn’s ernst wird. Ganz im Ernst: Kann dein Vincent Blut sehen?«
»Natürlich kann er Blut –« Alexa stockte. »Unter normalen Umständen kann er ganz wunderbar Blut sehen.«
»Unter normalen Umständen.« Bens Stimme war reiner Zynismus. Alexa bemühte sich um eine Erklärung.
»Vincent hatte im
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