Krank (German Edition)
versicherte ich ihm. »Wir überlegen gerade Folgendes: Wollte Crayline sich später immer noch an Stone rächen?«
»Wie denn? Jessie Stone ist nach Bobbys Verhaftung getürmt und hat sich irgendwo in Irland versteckt. Vielleicht kann er ja jetzt wieder nach Hause kommen.«
Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. Cherry warf mir einen fragenden Blick zu. »Jessie Stone hat Zuflucht auf der Grünen Insel gesucht, damit Bobby Lee ihn nicht findet.«
»Das war bestimmt die klügste Entscheidung, die dieser Typ je getroffen hat«, meinte Cherry.
Um halb vier Uhr überquerten wir die Woslee-County-Grenze und versuchten das, was wir an diesem Tag erfahren hatten, hinter uns zu lassen. Obwohl Prince – mit Zustimmung und ohne Gewaltandrohung – aus seinen Jungs menschliche Kampfmaschinen machte, unterschied er sich nicht groß von Bobby Lees Onkel, der Kampfhunde abgerichtet hatte. Der Markt für blutige Auseinandersetzungen war groß und offenbar differenziert: Die einen ließen Hunde und kleine Jungs in abgelegenen Arenen kämpfen, während andere die Kämpfe landesweit im Fernsehen ausstrahlten und Millionen damit verdienten. Für meinen Geschmack waren das zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Cherry war anscheinend zu demselben Ergebnis gelangt wie ich. »Prince meinte, die Leute zahlen fünfzig Mäuse, um zu sehen, wie sich zwei Typen in einem Käfig fertigmachen«, meinte sie. »Das habe ich doch richtig verstanden, oder?«
Ich nickte.
»Und nachdem Crayline diesen Typen im Ring getötet hatte, war er noch angesagter als zuvor?«
»Genau.«
Cherry dachte nach und beäugte mich dann aus dem Augenwinkel. »Was weißt du über die Steinzeit, Ryder?«
»Nicht viel.«
»Hast du mal von dieser Theorie gehört, dass es damals zwei Prototypen von Stämmen gab? Der eine war grausamer und weniger entwickelt, der andere klüger und fortschrittlicher. Irgendwann hat der fortschrittlichere Stamm den unterentwickelten besiegt, und der Mensch wurde, was er heute ist.«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Hast du jemals gedacht, dass vielleicht der andere Stamm gewonnen hat?«
Kapitel 41
Wir hielten vor meiner Hütte. Immer noch keine Spur von Mix-up.
»Wahrscheinlich ist er tot«, meinte ich. »Oder er hat ein neues Herrchen.«
»Carson, dein Hund ist ziemlich stattlich«, sagte Cherry und klopfte mir auf die Schulter. »Mit seiner Statur kann er vermutlich sogar einen Kojoten in Angst und Schrecken versetzen. Und er ist nicht gerade die Sorte Hund, auf die normale Leute abfahren. Der streunt irgendwo da draußen herum und taucht garantiert wieder auf.«
Ich nickte dankbar, konnte Cherrys Optimismus jedoch nicht teilen. Wir fuhren zur ihrem Blockhaus. »Ich muss das Leben von Burton, Tanner und Powers noch mal genau unter die Lupe nehmen«, verkündete sie, »und herausfinden, welche Gemeinsamkeiten sie mit Crayline hatten, ob und wann sich ihre Wege gekreuzt haben … Dieser Fall ist ein wahrer Alptraum.«
»Eine harte Nuss«, pflichtete ich ihr bei und gähnte. »Aber so läuft es in unserem Beruf nun mal. Normalerweise spreche ich zuerst mit den Nachbarn und dann …«
Cherry unterbrach mich, indem sie meine Hand ergriff, mich nach draußen führte und mit mir nach Westen ging. »Was siehst du?«
Auch wenn ich nicht wusste, worauf sie hinauswollte, musste ich schmunzeln. »Hm, Berge, noch mehr Berge. Täler. Bäume.«
»Und weiter weg? Da hinten im Osten, Norden, Süden?«
»Mehr vom Gleichen.«
»Woslee County ist ein Gebiet von fast dreihundert Quadratmeilen, Carson, in dem keine sechstausend Menschen leben. Die größte Stadt, Campton, hat gerade mal vierhundert Einwohner. Dort gibt es zwei kleine Apartmenthäuser und ein paar Wohnwagenparks. Kurzum … alle anderen leben verstreut auf dreihundert Quadratmeilen. Die Menschen können kommen und gehen, wie es ihnen beliebt, weil es weit und breit niemanden gibt, der das mitkriegt. Einmal abgesehen von ein paar neugierigen Zeitgenossen schert sich hier keiner darum, was die anderen treiben.«
»Aha.« Ich ahnte, was sie mir damit sagen wollte. »Es gibt hier also nicht sonderlich viele Nachbarn, mit denen man sprechen kann.«
»Für Menschen in der Stadt ist es nicht einfach, Geheimnisse zu haben. Überall neugierige Blicke und Überwachungskameras. In einem Apartmenthaus können sie hundert Nachbarn haben. In einen so dünnbesiedelten Landstrich wie diesem lässt es sich hingegen hervorragend im Verborgenen agieren. Crayline könnte
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