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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Wartezeit hatten sich gelohnt. Jetzt konnte Lena wieder arbeiten, Auto fahren, wie zuvor ihr Leben komplett selbst gestalten. Die OP des anderen Auges im Mai 2004 gestaltete sich so erfolgreich wie die erste.
    Doch plötzlich spielte die rot-grüne Bundesregierung nicht mehr mit. Sie verabschiedete ein sogenanntes »Gesetz zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen«. Trotz massiver Proteste sollten gesetzlich Versicherte Brillen und Sehhilfen vom 1. Januar 2004 an selbst bezahlen. Nur Kinder und Jugendliche sowie »Versicherte mit schweren Sehbeeinträchtigungen auf beiden Augen« können noch damit rechnen, dass ihre Krankenkasse die Kosten für die »Hilfsmittel« einen Teil übernimmt. Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen leben, trifft die neue Vorschrift wohl am schwersten. Bei ein paar Euro monatlichem Taschengeld werden sie lange auf eine neue Brille sparen müssen, schimpfen die Kritiker der Kostendämpfer. Dr. R. reagierte pragmatisch und organisierte eine Sammelaktion. Wer Brillen zu Hause hat und sie nicht mehr braucht, soll sie ihm zusenden. 5000 kamen bis heute zusammen und werden an Bedürftige verteilt.
    Lena und mit ihr rund 40 000 Menschen in Deutschland mit Keratokonus glaubten, sie hätten nichts zu befürchten. Es handelt sich bei ihrem Leiden ja unbestreitbar um eine schwere Augenerkrankung. Denkste! Die Versorgung entwickelte sich zu einem Glücksspiel. Was der Werbeslogan »mehr Service, mehr Leistung, mehr Menschlichkeit« der Betriebskasse wert ist, erfuhren Mitglied und Augenarzt umgehend. Mit »Bedauern« teilte die Kasse mit, dass sie nicht einmal die Kontaktlinse für das eine operierte Auge finanziere. Haben die ministerialen Gesetzestexter die Zeichen für größer und kleiner vor den 30 Prozent verwechselt? Sie haben die Passage zur maximalen Sehkraft aus einer US -Vorlage übernommen, ist Dr. R. überzeugt.
    Die Vorschrift könnte aber auch bewusst so abgefasst worden sein, um die Behandlung der Augenkranken auszuschließen. Dafür spricht, was der Gemeinsame Bundesausschuss in der Hilfsmittel-Richtlinie zu Sehhilfen auf drei Seiten verfügt. Sie trat zeitgleich mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz in Kraft. In dem Gremium baldowerten Funktionäre der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenhausträger aus, was die Solidargemeinschaft noch übernimmt. Sie legten fest, dass die Hornhaut bei Keratokonus-Erkrankten mindestens die Hälfte ihrer Stärke verloren haben und die Auswölbung vorhanden sein muss. Erst dann bezahlt die Kasse Kontaktlinsen.
    Lena hat also keine Chance, auch nur einen Cent von ihrer Krankenkasse zu erhalten. Dass sie spezielle Kontaktlinsen – Preis: rund 250 Euro – benötigt, um ihren Arbeitsalltag wieder aufnehmen zu können, interessiert die Kasse nicht. Allerdings erreichten Ärzte, die wie Dr. R. solche Patienten in großer Zahl betreuen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss seine Richtlinie im Oktober 2004 überarbeitete. Nun konnte der Arzt »nach Hornhauttransplantation/Keratoplastik« die Linsen wieder zu Lasten der Kassen verordnen. Allen Keratokonus-Patienten ist damit allerdings wieder nicht gedient. Im Gegenteil: Ihre Krankheit muss nun bereits »ausgeprägt« und »fortgeschritten« sein, wollen sie nicht auf den Kosten der Sehhilfe sitzen bleiben. Neu wird jetzt gefordert: Der Hornhautradius muss geringer sein als sieben Millimeter. Der Normalwert liegt bei 7,6 Millimetern. »Folgt man dieser Vorgabe, hat sich die Hornhaut wieder deutlich gewölbt«, erklärt Dr. R. »Das Therapieziel, durch die feste Kontaktlinse genau diese Entwicklung und damit die Krankheit selbst aufzuhalten, wird komplett verfehlt.« Doch seine mündlichen und schriftlichen Eingaben stießen auf taube Ohren.
    Gesundheitspolitiker, aber auch die Chefs der Krankenkassen reden zwar gern in Fernseh-Talkrunden und bei Festvorträgen von dem bisher so vernachlässigten Ziel, Erkrankungen vorzubeugen. An ihren Taten kann man dies jedoch nicht erkennen. Immerhin akzeptierte Lenas Kasse einmal – im September 2006 – die Kostenübernahme für die therapeutischen Sehhilfen.
    In den zurückliegenden zwei Jahren hat sich die Versorgung der an schweren Augenkrankheiten Leidenden noch einmal verschärft. Krankenkassen stellen nahezu jede Kostenübernahme für Sehhilfen in Frage, die etwa der Augenarzt bei Keratokonus verordnet. Anspruch darauf hätten seine Patienten. Ihre Erkrankung steht auf der Liste der Weltgesundheitsorganisation, die den

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