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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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und aus Sicht der Kasse nur noch Kosten produziert. Durch die Zeilen spürt man, was letztendlich Linie der Kasse ist:
kostengünstig abwickeln!
Ab einem bestimmten Punkt gibt es kein Abwägen mehr, keine partnerschaftliche Suche nach dem besten Weg. Ihre Kasse schreibt ihr ganz genau die Behandlung vor. Das machen Sie … und damit basta! Die freie Arztwahl ist für Sandra vorbei. Sogar das Krankenhaus kann sie nicht mehr wechseln.
    Ein Gespräch mit ihrem Chef – Sandra arbeitete bis zu ihrer Erkrankung in einer Arztpraxis – verdeutlicht den ganzen Wahnsinn dieses Gesundheitssystems. »Akne inversa«, sagt der Arzt, »das ist so eine Sache. Man kennt das nicht, man weiß nichts dazu, man forscht nicht darüber. Hätten das ein paar mehr Leute, es gäbe schon längst ein Präparat dagegen. Geforscht wird nur dort, wo es auch lukrativ ist für die Unternehmen, das ist doch logisch, oder?« – »Die ideale Krankheit aus Sicht der Pharmaindustrie ist also eine, die möglichst jedermann hat, die man zwar lindern, aber nicht heilen kann?« – »Sie haben es auf den Punkt gebracht. Solche Krankheiten sind ideal. Krebs zum Beispiel. Extrem teure Linderungen – das ist das Forschungsideal! Machen wir uns doch nichts vor!« Sandras Odyssee hat also ein ziemlich absurdes Umfeld. Da Sandras Krankheit weltweit bei viel zu wenigen Menschen auftritt, werden weder ihre Ursachen erforscht noch wirksame Therapien entwickelt. Sie ist wirtschaftlich uninteressant. Punkt. Sandra hat wie Manuela Akne inversa. Seit 1836 ist die Krankheit bekannt und beschrieben. Für dieses Leiden existiert dennoch nicht einmal eine eigene Codenummer des internationalen Verzeichnisses aller Krankheiten, kurz ICD -10 genannt.
    Versteckte Extrahonorare für AOK -Vorstände. Mehrere AOK -Vorstände kassierten nach Angaben des Hamburger Magazins Stern Nr. 36/2008 versteckte fünfstellige Sonderhonorare für die Beaufsichtigung kriselnder AOK -Landeskassen. Allein der AOK -Chef von Bayern, Helmut Platzer, erhalte pro Jahr ca. 30 000 Euro als Aufseher der zuschussbedürftigen Ortskrankenkasse in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Bevor die AOK Rheinland-Pfalz ihrerseits im Jahr 2007 ins Minus rutschte, war der dortige Vorstandschef Bockemühl (Jahresgehalt 2007: 165 343 Euro) nach Angaben des Stern selbst »Pate« für die AOK an der Saar. Allein für das Jahr 2005 seien insgesamt 185 000 Euro für Patenhonorare vorgesehen gewesen. Die AOK und ihre Vorstände hätten diese Summen bisher nicht veröffentlicht, obwohl die Vorstände der gesetzlichen Krankenkassen laut einem Prüfbericht des Bundesrechnungshofs gehalten seien, alljährlich »alle Vergütungsbestandteile wertmäßig« öffentlich anzugeben.
    Vier Jahre sind seit dem Ausbruch der Krankheit vergangen. Seit nunmehr sieben Wochen liegt Sandra in einer Klinik in Nordrhein-Westfalen. Ihr Mann hat niemand gefunden, der sich um die Kinder kümmert. Das Jugendamt hat sie inzwischen in einem Heim untergebracht. Die Tochter, kurz vor der Pubertät, besucht die Mutter nicht mehr. Der Sohn (12) kommt mit dem Fahrrad und gibt ihr wenigstens zu verstehen, dass er will, dass sie gesund wird. Sie fehlt ihm, er braucht sie. Sandra wäre gerne zu Hause. Aber die Krankenkasse zwingt sie zu diesen immer wiederkehrenden Krankenhausaufenthalten, die nichts bringen. Der medizinische Dienst der Kasse akzeptiert nicht, dass ein häuslicher Pflegedienst eingeschaltet wird, um der Mutter zu helfen. Die notwendige, teilweise großflächige Versorgung der Abszesse kann Sandra alleine nicht bewältigen. Dadurch verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand; sie infiziert sich von neuem und schwächt von Mal zu Mal ihr Immunsystem. In vielen nächtlichen Telefonaten mit Sandra erfahre ich, welch ein tiefer Graben zwischen Theorie und Praxis liegt. Wir sind längst die eiskalte Gesellschaft geworden, die wir nicht sein wollen. Wir sind eine Gesellschaft, in der Schwäche mit sozialer Ausgrenzung bestraft wird. An Manuela und Sandra wird ersichtlich, wohin sich unser Gesundheitssystem entwickelt. Die Betroffenen werden doppelt bestraft. Einmal durch die Krankheit und ein zweites Mal durch den Umgang des Gesundheitssystems mit ihr.
    Auch Manuelas Hausärztin droht aufgrund der Budgetüberschreitungen ein Regress – die Krankenkasse fordert Geld zurück, weil sie ihr zu viele Hilfsmittel, sprich Verbandmaterial, verordnet hat. Mir wird schlecht. Da pumpen also die Kassenversicherten eines der reichsten Länder der Erde

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