Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
nicht eingefallen, dass unser Solidarsystem mit ihrem (gewissermaßen »heiligen«) Herzstück, der vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung, einmal zur Disposition stehen würde. Ich war zutiefst davon überzeugt, dass ein Arzt das Krankheitsgeschehen aus der Sicht des Leidenden, also aus der Sicht von uns Patienten, begleitet und dass wir diesem unserem Arzt unsere Gesundheitsprobleme vorbehaltlos anvertrauen können. Sag deinem Arzt, woran du leidest, dann ist alles in guten Händen, dachte ich. Er wird alles so für dich tun, als ginge es um sein eigenes Leben oder das Leben seiner nächsten Verwandten. Kurz gesagt: Ich lebte im naiven Vertrauen, Ärzte hätten ein hohes humanitäres Ideal und das deutsche Gesundheitssystem würde alles tun, um dieses hippokratische Ideal zu fördern und zu ermöglichen. Was der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers sagt: »
Dabei bleibt das Gespräch zwischen Arzt und Patient das Wesentliche
« – das war für mich nicht nur bindend, sondern ich hatte dies auch immer so erlebt. Doch das ist im vorgesehenen neuen Gesundheitssystem, von dem wir erst die Eisbergspitze sehen, Makulatur. Es kommt ein big business, in dem für die Ärzte ein sehr präzises Rollenverhalten schon geschrieben ist. Sie sind vorgesehen als abhängige Kundenbetreuer. »Gespräche«, Herr Jaspers, sofern sie keine Verkaufsgespräche sind, sind in diesem System verdächtig. Die Ärzte sind beim Umbau des Gesundheitssystems nicht gefragt. Zynisch gesprochen, sind es aus Sicht der Umbaustrategen ja nur knapp hundertausend Leute. Das Einzige, was die Planer noch stoppen kann, sind wir Patienten. Wir sind
alle
. Doch wir sind in den Augen jener, die das ganz große Geschäft wittern, dumm. Uns kann man erzählen, alles sei so wahnsinnig komplex und teuer, und es gäbe keine Alternative zu dem, was uns als Schicksal ereilt: der Privatisierung und Kapitalisierung unseres Gesundheitswesens. Ich kann den Bürgern und Bürgerinnen nur sagen: Lassen Sie sich nie wieder mit der Killerphrase »Es gibt keine Alternative« abspeisen. Nehmen Sie Ihre Erfahrungen ernst! Bleiben Sie bei Ihren ganz einfachen Wünschen! Die Sichtweise von uns Patienten ist entscheidend.
Was erwarten wir von unserem Arzt? Nach all den Gesprächen, die ich führte, Gesprächen mit Kranken und Gesunden, möchte ich es auf den einen Nenner bringen: Der Patient erwartet von seinem Arzt medizinische Kompetenz und menschliche Nähe. Das wollen wir. Darauf haben wir ein verdammtes Recht. Nehmen Sie es daher nicht hin, dass medizinische Behandlung hauptsächlich von Ökonomen bestimmt wird. Erlauben Sie den lobbygesteuerten Strategen nicht, dass die Worte Gewinn und Verlust die Worte Mensch und Medizin ablösen. Zuerst erleben die unmittelbar Betroffenen – die Kranken, die Behinderten, die Alten –, was geschieht. Aber es wird uns alle, die breite Öffentlichkeit, ereilen. Irgendwann werden auch Sie und ich am eigenen Leib erfahren, was die schleichende Umdefinition der Begriffe bedeutet. Längst hat sich die Sprache im Gesundheitswesen geändert. Aus Fürsorge und Zuwendung wurde Zeitoptimierung. Nächstenliebe ist längst gestrichen. Heilung wird abgelöst von Effizienz und Profitsteigerung, der Mensch vom Humanprodukt. Die da an den Schreibtischen sitzen, ihre Bilanzen anschauen und ihre ökonomischen Berechnungen anstellen, schon gar die Unternehmensberater, die für ihren Umbau im Gesundheitswesen Millionen unserer Beitragsgelder kassieren, sie haben den leidenden Menschen längst nicht mehr im Blick. Der Gesundheitsmarkt hat sich fokussiert: Der Patient als Melkkuh in Diensten der Gewinnoptimierung.
Ärzte, die dieses Spiel durchschaut haben und aktiven Widerstand leisten, indem sie beispielsweise das verordnen, was der konkrete leidende Mensch, der da in seiner Not vor ihnen sitzt, braucht, werden in den finanziellen Ruin getrieben. Sie können aus einer Struktur, deren horrenden Irrsinn sie durchschaut haben, nicht aussteigen. Es sei denn auf die Art von Dr. Quathammer. Der Mann ist ein Menetekel, das auch uns Patienten zum entschiedenen, entschlossenen Widerstand herausfordert.
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14. Uninteressante Krankheiten
Ein Fall von Schwindeln
E ines Morgens ist er da, der Schwindel. Zuerst bemerkt Frau R. nur dieses Gefühl, nicht mehr sicher auf den Beinen zu stehen. Mit knapp 70 kann es einem schon einmal schwindelig werden. Der Kreislauf, was sonst!
Doch nach ein paar Tagen wird es unangenehm. Das permanente Schwindelgefühl macht
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