Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
die Frau in ihrem alltäglichen Tun unsicher. Ein Besuch beim Hausarzt steht an. Kreislauftechnisch ist alles okay. Frau R. hat keine Schmerzen, es ist ihr »nur« schwindelig. Nachdem es einfach nicht besser wird, erhält sie einen Überweisungsschein zum neurologischen Facharzt. Sie wartet auf den angegebenen Termin. Der Neurologe verweist sie nach der Untersuchung weiter an den Radiologen. Grund: Er attestiert einen »abklärungsbedürftigen Befund«.
Die Neurochirurgin erklärt der Patientin: »Frau R., das könnte ein Wasserkopf sein!« Wasserkopf? Das ist die vorläufige Diagnose vom 3. November 2009. Zwei Krankenhäuser, in die sie aufgenommen werden soll, stehen zur Debatte. Frau R. entscheidet sich für das nächstgelegene zu ihrem Wohnort. Die Neurochirurgin verabschiedet sich mit den Worten: »Das Krankenhaus wird Ihnen den Termin benennen!« Es ist Dezember, doch die Klinik meldet sich nicht.
Der Schwindel begleitet Frau R. wie ein Schatten, von morgens bis abends, auch beim Aufwachen in der Nacht. Den auffälligen Befund will sie nun aber nicht unbedingt gerade über die Weihnachtsfeiertage abklären lassen. Nach nunmehr zwei Monaten Warten macht sie sich auf den Weg und setzt sich ins Wartezimmer des Neurologen, der sie zur Neurochirurgin überwiesen hat. »Wie bitte, das Krankenhaus hat sich nicht gemeldet?« Der Arzt verlässt das Sprechzimmer und kommt nach kurzer Zeit zurück, schüttelt den Kopf: »Die wissen von nichts, das ist irgendwie untergegangen.« Er startet einen neuen Anlauf für einen Termin. Frau R. geht mit ihrem ständigen Begleiter, dem Dauerschwindel, nach Hause.
Am Freitag, 12. März 2010, also vier Monate nach dem Erstbefund, bekommt Frau R. endlich Bescheid. Eine Punktion, bei der Nervenwasser entzogen wird, soll Klärung bringen. Nachdem die Aufnahmeformalitäten erledigt sind, erscheinen am Nachmittag ein Arzt und ein Pfleger, um die Punktion vorzunehmen. »Mit einer minimalen örtlichen Betäubung gingen sie ans Werk, die Schmerzen waren dementsprechend höllisch. Der Arzt musste den Vorgang abbrechen, weil er auf einen Widerstand gestoßen ist«, schildert Frau R. ihr Erlebnis.
Am nächsten Tag wird sie geröntgt, um eine »günstigere« Stelle zu finden, erklären ihr die Ärzte. Am nächsten Tag findet der zweite Punktionsversuch statt. Diesmal gelingt es, eine Kanüle zu legen. Zwei Tage lang wird Nervenwasser entnommen. Am Sonntagmorgen, 14. März 2010, erscheint morgens der Pfleger. Frau R. teilt ihm mit, dass sie nichts mehr hört. Selbst wenn jemand neben ihr stünde, käme seine Stimme von ganz, ganz weit weg. In dem Moment taucht der Arzt auf. Seine Diagnose lautet: Das ist ein Unterdruck, der wird sich wieder normalisieren. Der Pfleger erhält die Anweisung, die Punktion sofort zu beenden. Frau R. erfährt nichts von dieser Maßnahme. Dass sie flach im Bett liegen bleiben soll, sagt ihr auch niemand. Sie steht zum Frühstücken auf, begibt sich auf die Toilette und begleitet am Nachmittag ihren Mann zum Abschied auf den Gang.
Am Montag, 15. März erscheint am Vormittag der Pfleger und sagt zu Frau R.: »Sie können heimgehen!« Die Kassenpatientin R. bekommt den behandelnden Arzt weder zu sehen, noch bekommt sie eine Information, was die Untersuchung ihres Nervenwassers ergeben hat. Frau R. lässt sich von ihrem Mann abholen. Schon auf dem Heimweg stellen sich furchtbare Kopfschmerzen ein. Zu Hause angekommen, muss sie sich mehrfach übergeben. Der Zustand verschlechtert sich rapide. Sie informiert ihren Hausarzt. Dieser klärt Frau R. auf, dass dies die Folgen des Unterdrucks seien. Sie hätte nach der Punktion 24 Stunden flach liegen müssen. »Woher sollte ich das denn wissen, wenn es mir keiner sagt?« Der Hausarzt zuckt mit den Schultern.
Wollte man böse sein, könnte man sagen: Gewinn bringt ein »Humanprodukt« (bislang Mensch genannt) der Klinik nur, wenn an ihm dauernd Behandlungen vorgenommen werden, wenn dazu möglichst verschiedene Diagnosen vorliegen und wenn der Patient nur kurz in seinem Krankenzimmer liegt. »Erhöhen Sie die Patientenzahl, steigern Sie die Indikationen bei den Fällen und bauen Sie die Verweildauer im Krankenhaus ab« – das ist das Standardrezept, das die Unternehmensberater den zur Kostendämpfung und Gewinnsteigerung verpflichteten Klinikleuten permanent einimpfen. Patientin R. hütet in den nächsten Tagen zu Hause das Bett. Sie bleibt, wenn irgend möglich, flach liegen. Allmählich bessert sich ihr Zustand.
Ihr
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