Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
durch eine Fahrt im Krankenwagen und die langen Wartezeiten in der chirurgischen Klinikambulanz! Ein Anruf genügt, und Minuten später ist er da, der diensthabende Hausarzt. Er reinigt die Wunde, näht sie zu und untersucht Anna F. am Körper und auch neurologisch nach weiteren Sturzfolgen. 35 Minuten später liegt die Seniorin wieder im sicheren Bett, die Pflegerin bringt noch einen Tee, spricht mit ihr über das Geschehene, hilft ihr beim Trinken. Rundum versorgt und innerlich ruhig schläft Anna F. an diesem Abend ein.
Ja, natürlich gibt es sie, die schwarzen Schafe bei den Pflegeeinrichtungen, und es gibt sie, die menschenunwürdigen Verhältnisse, unter denen alte Menschen ihren Lebensabend verbringen müssen. Es gibt aber auch die Ärzte und Pfleger, deren oberste Priorität noch immer lautet: Hilf dem alten gebrechlichen Menschen. Bei meinen Besuchen in verschiedenen Pflegeheimen ist mir sehr klar geworden, dass es in vieler Hinsicht doch sehr auf die betreuenden Personen ankommt, wie der Mensch sich als Pflegebedürftiger fühlt. Nur steht genauso fest: Die Tendenz geht in Richtung Kälte und Standardisierung. Kostengünstige Fallabwickler werden gesucht.
Frau Anna F. hat Glück. Sie ist in einem Pflegeheim untergebracht, in dem sie den täglichen Kampf um die betriebswirtschaftlichen Belange nicht spürt. In all den Alten- und Pflegeheimen, die ich bundesweit besucht habe, erfahre ich im Gespräch mit den Heimleitungen, wie wenig das, was jetzt schon an Rahmenbedingungen da ist, und das, was noch kommen soll, den Alten und Kranken gerecht werden wird. Für mich sind die Gespräche mit den Heimleiterinnen und -leitern, mit dem Pflegepersonal eine besondere Erfahrung. Wir, mein Mann, unsere Kinder und ich, wir haben meine Mutter als Schwerstpflegefall zu Hause versorgt. Es war anstrengend, keine Frage. Aber es waren die intensivsten Jahre mit ihr. Körperlich krank, schwach, eben ein voller Pflegefall, war sie geistig bis fast zum Ende ihres Lebens wach und interessiert. Mir ist aber klar, dass schon allein aufgrund der Wohnverhältnisse nicht jeder die familiäre Pflege übernehmen kann. Hier muss der Staat eintreten, der sich im Moment aber aus Kostengründen immer weiter aus der sozialen Verantwortung herauszieht. Einmal mehr soll es der Markt richten.
Was will ein marktorientiertes Unternehmen? Expandieren, Gewinn machen. Wer alt ist und Vermögen hat, darf mit einem differenzierten Angebot rechnen. Wer noch mehr Geld hat, kann sich auf ein königliches Ende freuen, sofern luxuriöse Einsamkeit nicht auch eine elende Sache ist. Alte Bedürftige sind für den Markt nur bedingt zu gebrauchen. Einmal mehr entscheidet sich die humane Qualität eines Staates daran, wie er sich zu seinen schwächsten Gliedern verhält. Wir müssen unbedingt zur Solidarität mit den Schwachen, Kranken und Alten stehen. Felsenfest bin ich davon überzeugt, dass es ohne intakte Gesundheits- und Sozialsysteme keinen sozialen Frieden geben kann.
Mit Kreativität zu mehr Einnahmen: SPIEGEL -online meldete am 27. Juni 2009, dass der Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen AOK den milliardenschweren Gesundheitsfonds mit einem Trick zusätzlich anzapfen will. Zuschläge für besondere Krankheiten – ein zentrales Element der Gesundheitsreform – sollen nach Spiegel-Informationen für das volle Kalenderjahr verrechnet werden. Und zwar auch dann, wenn der Versicherte nach wenigen Monaten verstorben ist. Was die AOK in ihrem Vorschlag an das Bundesversicherungsamt »annualisierende Ausgaben Verstorbener« nennt, heißt im Klartext: Für Tote soll es weiter Geld geben. Der AOK -Bundesverband geht davon aus, dass mit der vorgeschlagenen Regel insgesamt mehr als eine Milliarde Euro aus dem Gesundheitsfonds umverteilt würde. Nutznießer wären Krankenkassen mit überdurchschnittlich vielen älteren Versicherten, darunter fast alle AOK -Dependancen. Versicherer mit eher jüngeren Mitgliedern müssten Einbußen verkraften.
Wo der Markt allein regiert, wird es gnadenlos für die Alten. Es gab mal Zeiten, da kannte man noch das Wort Gnadenbrot. Nach der Abschaffung der Gnade wird das Brot der gesellschaftlich überflüssigen Esser zum Problem. Der Pflegebedürftige ist wehrlos, unseren sozialen Gegebenheiten ausgeliefert. Wo eine Gesellschaft den Totalanspruch der Wirtschaft zulässt, alles, auch die Sorge um einen würdigen Lebensabend, markttechnisch zu regeln, organisiert er eine fortschreitende Verrohung des Handelns. Er
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