Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
gebildet hat, nicht breitmachen. Wo ein Hausarzt arbeitet, kann diese ganze teure Palette gesundheitlicher Pseudodienstleistungen nicht in Anschlag gebracht werden, an denen die Industrie verdient. Der Hausarzt, insbesondere der ländliche Hausarzt, ist die letzte Parkkralle, die uns an der Fahrt in die schöne neue Welt der privatisierten Medizin hindert.
Der Bevölkerung wird nun weisgemacht, der Hausarzt sei nicht vernetzt, er verbaue dem Patienten eine spezialisierte Medizin, er befinde sich in einem fossilen Stadium des technisch Möglichen, er sei wissenschaftlich von gestern und lange nicht mehr auf dem Stand der Entwicklung. Und so ertönt der Ruf nach der »Qualitätssicherung«. Außerdem müsse man sich ja echt um die
Versorgung
sorgen. Wenn diese Hausärzte es einfach nicht mehr schaffen, die Bevölkerung zu
versorgen!
O Schreck! Was für ein falsches Gutmenschenvokabular hat sich in den letzten Jahren rund um
Sorge
und
Versorgung
aufgebaut! Mir klingeln die Ohren! Designerbebrillte Professoren, von denen man ahnt, dass sie sogar auf dem Hintern von
Harvard gestempelt wurden, schauen
besorgt
zu uns herüber, die wir uns noch in den Niederungen bundesdeutscher Wartezimmer herumtreiben, und mahnen uns, nur ja nicht die medizinische Zukunft zu verpassen.
Auf diese Aussage kommt die Antwort: Rettung sei der Zusammenschluss stationärer und ambulanter Versorgung im Gesundheitswesen. Wieder so ein Lügenwort: »Zusammenschluss«. Es geht um kalte Enteignung. Was genau hinter dem Stichwort »Integrierte Versorgung« steckt, erzählen uns weder deren Erfinder noch die bezahlten »Experten« und auch sonst niemand. Auch die aufgesetzte Sorge um die »optimale Versorgung« ist eine lügnerische Wortklauberei. Die integrierten Versorger tun nur so besorgt.
Das wissen inzwischen all diejenigen, die bereits heute von der Langfriststrategie der integrierten Versorger betroffen sind, weil sie nämlich ein echtes Versorgungsproblem haben; mit Windeln, Brillen, Heilmitteln, notwendigen Hilfsmitteln usw. Aber damit sie nicht auf falsche Gedanken kommen, gibt es am Abend die 237. Folge von »Der Landarzt«. Danach schläft man auch in schlechten Windeln gut.
»Gesundheit, Schmiergeld inklusive – Mit subtiler Einflussnahme versuchen Lobbyisten, die Politik bei Reformen auf ihre Linie zu bringen.« So titelte Focus in der Ausgabe vom 7. August 2006. Was Focus-Korrespondentin Verena Köttker und Focus-Redakteur Christoph Elflein in ihrem Beitrag zusammentrugen, zeigt den ganzen Druck, der von den gesetzlichen Krankenkassen auf die Politik ausgeht. Der Politiker werden mehr oder weniger einbestellt – und zwar vielfach solche, die von der Komplexität des Gesundheitswesens keine Ahnung haben. Die Autoren benutzen das Wort »Einzelbearbeitung«. Es ging darum, potenzielle Abweichler rechtzeitig vor der nächsten Stufe der Gesundheitsreform auf Linie zu bringen. Darf das denn sein? Man sollte meinen, es gäbe für DAK , AOK und Barmer den ganz normalen Dienstweg, um Wünsche zu artikulieren. Fakt ist aber, »dass die Kassen der Bundesregierung für Wochen Mitarbeiter überlassen, die an wichtigen Gesetzesentwürfen mitwirken. So sitzt eine Mitarbeiterin des AOK -Bundesverbandes einstweilen im Kanzleramt, zuständig für Gesundheitspolitik. Gleich vier Kassenmitarbeiter beherbergt derzeit das Bundesgesundheitsministerium. Sie sollen Vorschläge machen, wie der geplante Gesundheitsfond zu organisieren ist. Die Kosten trägt formal das Ministerium. Tatsächlich stellen die Kassenchefs aber meist nur einen Teil der Gehälter in Rechnung. ›Das läuft mehr oder weniger auf Kulanz‹, gesteht der Vorstand einer großen gesetzlichen Kasse, ›das Ministerium hat ja auch nicht so viel Geld. Und wir sind froh, dass unsere Leute dort sitzen.‹«
Ein Alptraum
Ich träumte vom Jahr 2020: Es ist November. Ich sehe eine Bushaltestelle, die mir bekannt vorkommt. Nebelschwaden hüllen die Menschen ein. Frau Müller kann nicht so lange stehen. Sie sitzt auf ihrer Gehhilfe und hofft, dass der Bus bald kommt. Die junge Frau Graf gräbt sich tiefer in ihren Mantel hinein. Ihr Kind wärmt sich durch ein Hüpfspiel auf. Der zwei Wochen alte Säugling in der Tragetasche schreit erbärmlich. Und da steht noch das junge Mädchen, blass und frierend – trotz dicker Winterjacke.
Frau Müller bricht das Schweigen und sagt in die Runde: »Bis vor ein paar Jahren war da drüben noch unser Hausarzt, auf den wir uns verlassen konnten …«
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