Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
den Financiers ausgestellt und bindet sie nicht einmal daran, wie vereinbart zu verfahren. Aus der Liste der Hilfsmittel, die von den Kassen übernommen werden, ist in letzter Konsequenz ein Instrument geworden, sie abzulehnen – frei nach der Prämisse: Es wird bei denen gespart, die sich am wenigstens dagegen wehren können.
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Wie das aussieht mit dem Sparen? In einem Pflegeheim in Bayern diskutiere ich im April 2010 mit der Heimleitung über die sogenannten Pflegekosten. Wir sprechen über den Tagessatz pro Kopf für Verpflegung, der für fünf Mahlzeiten 3,78 Euro ausmacht. Immer wieder höre ich von Praktikern, dass die Kassen einen Durchschnittswert vergleichbarer Häuser heranziehen und so auf diese Pro-Kopf-Pauschale kommen. Alle bestätigen mir, dass der Gesetzgeber das zwar so nicht vorsieht, aber es sei einfach
»gängige Praxis«
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Die Heime verhandeln mit den Kassen, und ich erlebe bei meinen Besuchen, wie in kleinen bis mittleren Pflegeeinrichtungen ein täglich neuer Kampf geführt wird, um mit dem Geld auszukommen. Es geht um Investitionskosten, Pflegekosten, Unterkunft und Verpflegung und Pflege als Dienstleistung. Es gibt mehrere Töpfe, aus denen das notwendige Geld kommt. Die gesetzliche Krankenversicherung leistet einen Beitrag, die Pflegeversicherung, die Rentenversicherer, die Sozialämter. Dazu kommen Praxisgebühr beim Arztbesuch und die Zuzahlungen. Das Leistungsangebot hat sich nach und nach verändert. Dass Häuser miteinander verglichen werden, um einen Durchschnittswert zu bilden, erinnert mich an die ärztliche Tragödie mit den Regressen. Auch hier geben Kassen und Kassenärztliche Vereinigungen ( KV ) den Ärzten auf, ihre Patienten gemäß einem Durchschnitt aller Ärzte in einer Region zu behandeln. Das heißt: In einer Kommune sind vielleicht 26 Ärzte tätig, die im Schnitt eine gewisse Anzahl von Krankengymnastik-Therapien verschreiben. Liegt der Arzt nun außerhalb dieses Schnitts und bleibt trotz Mahnungen der KV bei seinen für notwendig erachteten Verordnungen, muss er mit Rückzahlungsforderungen rechnen – die Kosten für die verordneten Therapien werden ihm von seinen Abschlagszahlungen abgezogen, die er von der KV für die Behandlung seiner Patienten erhält. Es spielt keine Rolle, ob der Arzt nun aufgrund äußerer Faktoren eine höhere Anzahl von Patenten hat, die einer Krankengymnastik bedürfen, während sein Kollege vielleicht eine Patientenstruktur hat, in der die Verordnung »Krankengymnastik« kaum einmal ansteht. Da kommt Freude auf, wenn wir als Patienten vielleicht aus einsichtigen Gründen erwarten, dass der Doktor uns Krankengymnastik verordnet. Nein, es ist eben nicht normal! Es ist ein statistisches Spiel, in dem Arzt und Patient immer die Verlierer sind. Es ist immer das gleiche Muster, mit dem Arzt und Patient, Pflegeheim und Pflegender gegeneinander ausgespielt werden.
Bleiben wir beim Pflegeheim und bei dem genannten Pro-Kopf-Satz für Verpflegung von 3,78 Euro. Da müssen die in der Küche schon sehr kreativ arbeiten, um überhaupt etwa Genießbares auf die Teller zu zaubern. Für mich ist da völlig unverständlich, warum die Kranken- und Pflegekassen nicht mehr auf die Praktiker hören, die tagtäglich mit Pflegebedürftigen umgehen. Die Auflagen, die vonseiten der Pflegeheime erfüllt werden müssen, sind klar definiert. Medizinischer Sachaufwand, Desinfektionsmittel, Reinigung bis zur Handdesinfektion für Pflegepersonal. In mehreren Urteilen hat das Bundessozialgericht ( BSG ) 2002 dazu festgestellt, unter welchen Voraussetzungen Hilfsmittel bei vollstationärer Pflege zur Ausstattung eines Pflegeheimes gehören bzw. eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ( GKV ) nach § 33 SGB V besteht. Interessanterweise verabschieden die Kassen – in die wir alle einzahlen – trotz dieses Paragraphen – im Alleingang einen Abgrenzungskatalog, der von ihnen geändert und überarbeitet wird. Die Kassen entscheiden selbst, was sie zahlen und was nicht.
Wie hier um Mittel geschachert wird, zeigen ein paar Beispiele. Werfen wir also einen Blick in den Abgrenzungskatalog: Ellbogen- und Fersenschützer (Sitz- und Liegehilfen) sind Hilfen, die ausdrücklich Knochenbrüchen vorbeugen sollen. Für sie ist das Heim zuständig. Es hat eine »qualifizierte« Pflege sicherzustellen. Es ist auch angehalten, Dekubitalgeschwüre soweit wie möglich zu verhindern.
Dienen diese Hilfsmittel allerdings der Be- und Nachbehandlung eines Bruchs,
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