Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
weil die Kasse die Kostenerstattung für eine Anti-Dekubitus-Matratze hinauszögert. Von Einzelfällen kann da längst keine Rede mehr sein. Ablehnung, wenn überhaupt Widerspruch, Ablehnung des Widerspruchs – dieser juristische, formale Papierkrieg verschlingt so viel Zeit, dass sehr viele Pflegebedürftige vor Klärung der Angelegenheit die Augen für immer schließen und zuvor Qualen ertragen müssen, die ein reiches Land ihnen leicht ersparen könnte. Auch eine Art, Geld zu sparen!
Nun höre ich von Kassen, ihren Vorständen, ihren Presseabteilungen, immer wieder die hehre Aussage: »Wir sind verantwortlich gegenüber der Sozialgemeinschaft, wenn es um Ausgaben geht«, so, als hätten sie das eingebaute Gewissen und würden sich für die Geldbeutelschonung des Beitragszahlers zerreißen – wahre Idealisten, die sich der gefährlichen Gier der Leistungsempfänger verweigern. Für mich ist das eine lügnerische Attitüde. Wenn ich an die vielen Fälle denke, die mir in den vergangenen Jahren allein nach meinen Vorträgen schriftlich und mündlich mitgeteilt wurden, so glaube ich nicht an das Hohelied von der sparsamen Beitragsverwaltung. Hinter der ganzen Hilfsmitteldiskussion steckt System.
Meines Erachtens sind hier Gesetzestexte bewusst mit Kann-Bestimmungen ausgestattet worden, die im Effekt eine Minderung der Leistungen bedeuten, weil nur der ausgefuchste Spezialist mit dem Ellbogen-Gen noch kriegt, was er braucht. Wer nicht um seine Heil- und Hilfsmittel kämpfen kann oder wer keinen hat, der es für ihn tut, resigniert.
Kostendämpfung an dieser Ecke geht so: Wenn die Zuweisung eines Hilfsmittels in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkasse fällt, orientiert man sich an den sogenannten WANZ -Kriterien; sie stehen für:
wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig
. Klingt ja so vernünftig. Aber diese Eigenschaften sind alles andere als geeignet zur Bestimmung konkreter Ansprüche. Was »ausreichend« ist, das (würde Theodor Fontane sagen) ist ein weites Feld! WANZ -Kriterien lassen sich wie ein Kaugummi in jede erdenkliche Richtung ziehen. Damit kann man eine unterbeschäftigte Justiz in Brot und Arbeit bringen. Da ist Raum für wuchernde Zusatzbestimmungen und ergänzende Zusatzbestimmungen von erweiterten Zusatzbestimmungen. Und so sieht es in der Sozialgesetzgebung auch aus – ein künstlich angelegter Urwald von feinster Undurchdringlichkeit, in der sich bald nur noch Kassenspezialisten und neurotische Pedanten im Ruhestand auskennen.
Häufig drehen sich die Auseinandersetzungen darum, in welchem Umfang Pflegeheime oder Behinderteneinrichtungen Hilfsmittel vorhalten müssen, welcher Kostenträger Ansprüche auf Hilfsmittel zu erfüllen hat und wie der Vorrang oder Nachrang der nebeneinander bestehenden oder denkbaren Zuständigkeiten zu beurteilen ist. An jeder Ecke dieses Areals wird gefeilscht. Auf der Strecke bleiben die Hilfsbedürftigen. Der Gesetzgeber lässt zu, dass die Auseinandersetzungen sich in die Länge ziehen. Auch dies ist Absicht, sonst hätte man die Kritik daran längst aufgenommen. Rechtssicherheit bei Hilfsmitteln will man nicht herstellen, was die lange Liste der Gerichtsverfahren bis hin zum Bundessozialgericht zeigt. Und in den politischen Stellungnahmen zu diesem Thema, das in der komplexitätsscheuen Öffentlichkeit nicht diskutiert wird, fragt keiner nach dem Ergebnis.
Der Versuch, Gesetzesänderungen zu erzielen, scheitert oft kläglich. Mein Beleg: Eine Stellungnahme der Bundesregierung ( BT -Drucksache 15/308, Seite 10), in der sie eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema zwar wegen ihres korrekten fachlichen Ansatzes begrüßt, eine Klarstellung der Regelungen aber letztlich nicht für notwendig erachtet. Dennoch reicht die Länderkammer den Gesetzesentwurf an den Bundestagsausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung weiter. Dieser veranstaltet, wie es sich gehört, eine Anhörung der Verbände zur Rechtslage und zur sozialpolitischen Dimension der Hilfsmittelproblematik.
Am 21. Mai 2003 lehnt der Ausschuss den Gesetzesentwurf ab. Dieses Nein können die Spitzenverbände der Krankenkassen als Erfolg für sich verbuchen. Denn sie wollten die bestehende Rechtslage zementieren.
Fatal sind die Folgen: Nach § 128 SGB V ist das Hilfsmittelverzeichnis nichts anderes als eine Art Absichtserklärung der Kassenverbände und als Auslegungshilfe rechtlich unverbindlich! Wer die Macht besitzt, haben sie damit klargestellt. Ein Abgrenzungskatalog wird von
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