Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
der Morgensonne auf die Tautröpfchen fallen. Wie eine Perlenkette hängen sie an den plötzlich sichtbaren Fäden der Spinnennetze in den Büschen am Rand des Geh- und Radwegs.
An diesen Tag, einem der letzten im zu Ende gehenden Indianersommer, wird sich Donald R. noch lange erinnern. Nein, nicht wegen des Naturschauspiels. Schon eher, weil er einen Augenblick vergisst, sein Fahrrad vorsichtig auf die mit Holzbrettern belegte Fußgängerbrücke zu steuern. Dunst und Tau haben sie in eine Rutschbahn verwandelt. Wer sich da elegant in die Kurve legt, muss scheitern. Zu spät reagiert Donald R., zieht instinktiv das Knie an. Es knallt zuerst auf die harten Bohlen. Den Rest des Körpers fängt der Ellbogen ab. Beide Körperteile schmerzen. Donald R. weiß, massieren verhindert zu starkes Anschwellen. Der Versuch aufzustehen gelingt. Humpelnd, das Rad schiebend, geht der Software-Programmierer zum nahegelegenen Bürogebäude, unweit der Brücke, die San Francisco mit Oakland verbindet.
Am nächsten Morgen ist das Knie noch immer so dick wie beim Einreiben mit einer Salbe gegen Sportverletzungen am Abend zuvor. Jede Bewegung schmerzt. Donald R. sucht seinen Arzt auf. Dieser tastet die Stelle ab, testet die Beweglichkeit und empfiehlt, um sicherzugehen, das Gelenk röntgen zu lassen. Dazu muss der US -Bürger eine Klinik aufsuchen. Die Aufnahme bestätigt die Vermutung des Doktors: Das Knie ist lediglich stark geprellt.
Donald R. ist erleichtert, besorgt sich eine neue Tube der Sportsalbe in der Drogerie um die Ecke, bandagiert sein Bein und schont es ein paar Tage. Rasch kehrt der nahezu schmerzfreie Alltag zurück. Doch dann schickt das Krankenhaus seine Rechnung. Ein Schock für den Mittvierziger: 535 Dollar kostet die eine Röntgenaufnahme. Nun ist der zur Mittelschicht gehörende IT -Fachmann über seinen Arbeitgeber krankenversichert. Er zahlt pro Monat lediglich 190 Dollar. Den Rest von 80 Prozent der Prämie an das private Versicherungsunternehmen finanziert die Firma. Mit rund 1000 Dollar Beitrag sind die Arztkosten komplett abgedeckt. 15 Dollar muss jeder Patient pro Besuch allerdings noch extra bezahlen. Klinikaufenthalte deckt die Versicherung zu 90 Prozent ab. Den Rest muss der Patient begleichen. Hinzu kommt eine jährliche Selbstbeteiligung an den Versorgungskosten. Bei Donald R. liegt sie bei 280 Dollar. Doch damit nicht genug: Mit den Krankenhäusern hat dieser Versicherer ausgehandelt, dass er für Röntgenaufnahmen nur einen Festbetrag von 345 Dollar übernimmt. So wird der glimpflich verlaufene und weitgehend selbstbehandelte Radunfall zu einer kostspieligen Unachtsamkeit: Donald R. ist um 314 Dollar (rund 215 Euro) ärmer.
Schon dieser Bagatellfall zeigt, wie das teuerste Gesundheitssystem auf unserem Globus funktioniert. Medizinisch und technisch
sind die USA Weltspitze. Die Versorgung der Bevölkerung befindet sich hingegen auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Alle 12 Minuten stirbt ein US -Bürger – nicht an einer unheilbaren Krankheit, sondern weil er gar nicht oder schlecht versichert ist. Rund 45 000 Menschen gehen jährlich zugrunde, weil einer der reichsten Staaten die Krankenversorgung den Kräften des freien Marktes überlässt oder – für Ruheständler, Behinderte und Kinder – nach Kassenlage öffentlicher Haushalte finanziert. Und die sind notorisch defizitär.
Autovermietung, Fahrradverleih, Sanitärtechnik, Brillen, Möbel, Schuhe, Hausgeräte, Gin Tonic, Fotodrucke übers Internet, Kinokarten, Friseurbesuche (5–10 % Rabatt), Reisebüro (3 % Rabatt auf Pauschalreisen), Fassaden- und Dacharbeiten (3 % Rabatt) und Theaterbesuche und noch vieles mehr bekommen Sie als AOK plusCard-Besitzer. http://www.wdr-aokpluscard.de/partnerliste.php
Europa, du hast es besser, mögen da viele Deutsche, Briten, Skandinavier oder Franzosen denken. Doch dieser Anflug von Häme ist mehr als unangebracht. Denn eine ganze Phalanx von Gesundheitsökonomen preist seit mehr als einem Jahrzehnt Versorgungsmethoden, die Versicherer in den USA entwickelt haben, als beispielgebend. Ihnen folgen seit Jahren auch deutsche Gesundheitspolitiker. Sie übernehmen Konzepte bis hin zu den feinen Sprachregelungen, an denen man sie erkennt, um das Solidarsystem auf den neoliberalen Heilsweg zu trimmen. »Eigenverantwortung« lautet eines der zentralen Stichwörter. Klingt gut. Welcher gesunde und aktive Mensch möchte schon das Heft aus der Hand geben und sich betreuen lassen. Doch Worte kann man wie das
Weitere Kostenlose Bücher