Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
Vom Netzwerk:
die meisten ihrer Patienten. Ihr Einkommen besteht aus einem sehr geringen jährlichen Grundgehalt, das weit unter dem obengenannten Monatshonorar liegt. Mehr bringen eine Leistungszulage von 25 Prozent, ein Bonusaufschlag von etwa zwei Monatsgehältern und eine hohe Dividende – sprich Gewinnbeteiligung. Von der gesamten Ärztegruppe (medical group) hängt es ab, wie viel Dollars sie einfährt. Dazu erwirbt jeder Doktor einen Anspruch auf sein Ruhegeld, Erfolgsgratifikationen und eine bewegliche Zulage, die einen Zuschuss zu einer Baufinanzierung einschließt. Zugesagt wird überdies, dass die Arbeitsbelastung über die Zeit der Zugehörigkeit zu Klinik oder Versorgungszentrum sinkt.
    Das ausgeklügelte Bezahlsystem hat Charles Phillips bereits vor acht Jahren ausführlich dargestellt und erläutert. Der Arzt kennt die Strukturen aus eigener Anschauung und aus dem Kontakt zu früheren Kollegen. 18 Monate hat er für Kaiser Permanente in einer Notfall-Einrichtung gearbeitet. Diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen Ärzten und HMO verschleiert das Unternehmen gegenüber seinen Versicherten ganz bewusst, sagt Phillips. Es scheut keine Mühen, den Menschen das Trugbild vorzugaukeln, die Mediziner seien schlichte Angestellte mit einem Monatsgehalt. Sie können es sich daher leisten, auch das öffentliche Wohl – die Gesundheit der Bevölkerung – im Auge zu behalten. Es gehe in den Ärztezentren jedoch nur darum, Profit zu erzielen – im eigenen und im Interesse des einzelnen Mediziners, seiner Kollegen, aber auch der Besitzer, zugleich ihr Arbeitgeber.
    »Das Vergütungsniveau der Hausärzte wird begrenzt«, heißt es in Philipp Röslers Eckpunktepapier für die Gesundheitsreform vom Juli 2010. Vom Ruin bedroht, hatten sich die Hausärzte erst ein Jahr zuvor Hausarztverträge erstritten, in denen sie eine Chance zum Überleben sahen. Das ist nun scheinbar Schnee von gestern. Rösler markiert den Anwalt der Bürger: »Die Menschen würden es zu Recht nicht tolerieren, wenn für einzelne Gruppierungen Ausnahmen gemacht würden.« Damit stehen die Hausärzte wieder als Abkassierer da, die eine Leistung erbringen, die es anderswo günstiger gibt. Auch die neue Regierung lässt die alte Katze aus dem Sack: Medizinische Versorgungszentren statt freie Haus- und Fachärzte, oder (in der Sprachverpackung von Franz Knieps): »Ohne moderne Kooperationsstrukturen wird die ambulante Versorgung in Deutschland nicht wettbewerbsfähig bleiben.« Schritt für Schritt passiert das, was ich in meinem Buch »Der verkaufte Patient« im Jahr 2008 vorausgesagt habe: Den freien Haus- und Fachärzten wird der Hahn zugedreht, damit die ach so »wettbewerbsfähigen« MVZ -Einrichtungen durchstarten können. Der Chef des Deutschen Hausarztverbandes, Ulrich Weigeldt, nennt das »Wortbruch« und »die Abwicklung der hausärztlichen Versorgung, die Entwürdigung unserer Arbeit, die Vernichtung unserer Praxen. Es geht um die Existenz.« Auch Wolfgang Hoppenthaler, Chef des Bayerischen Hausärzteverbands, erwartet damit die »Zerschlagung der hausärztlichen Versorgung«. Dr. Jürgen Arnhardt, ein Hausarzt aus Höchstädt, sagt voraus: »Die Versorgung wird zusammenbrechen. Ich befürchte mit Sicherheit ein Aussterben der Hausärzte im Kreis.« Prognose: Regierung rechnet mit dem Aus für Arztpraxen. Die Bundesregierung sieht schwarz für Kassenarztpraxen – viele der rund 70 000 Praxen werden früher oder später schließen müssen. Das Gesundheitsministerium sieht die Zukunft der ärztlichen Versorgung in anderen Modellen. Aussage Franz Knieps: »Ohne moderne Kooperationsstrukturen wird die ambulante Versorgung in Deutschland nicht wettbewerbsfähig bleiben.«
    Die Betriebswirtschaftslehre hält eine Vielzahl von Möglichkeiten bereit, mit denen Unternehmen ihren Erfolg steigern können. Dienstleistungsunternehmen gehören zu den
personalintensiven
Branchen. Sind die Arbeitsabläufe in allen Bereichen bereits optimal aufeinander abgestimmt, kann nur noch rationalisiert werden – das heißt: Weniger Personal verrichtet die gleiche oder noch mehr Arbeit. Rationieren bedeutet hingegen, angebotene Dienste zu begrenzen. Es bedarf allerdings eines äußerst durchdachten Systems, damit den Kunden die Einschränkungen nicht so massiv auffallen, dass sie abspringen und sich einem Konkurrenten zuwenden. Kaiser Permanente hat ein sehr durchdachtes System entwickelt, um beide Instrumente zu seinen Gunsten einzusetzen.
    Pförtner im Eingangsbereich

Weitere Kostenlose Bücher