Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
der Präsident entscheiden. Nixon bekennt reichlich derb, er sei nicht scharf darauf, sich auch nur mit einem dieser »verdammten Gesundheitsprogramme« zu befassen. Ehrlichman entgegnet, es handle sich dabei aber um ein
privates
Unternehmen. Dies gefällt dem Präsidenten schon viel besser; es geht offenkundig nicht um den ohnehin schon grenzwertig gebeutelten Staatssäckel. Nun erläutert ihm sein innenpolitischer Berater, Kaiser habe ihm Einblick in seine Pläne gewährt, und alle Anreize führten zu weniger Krankenversorgung. Weniger krank = weniger krankfeiern? Hörte sich interessant an. Kaisers Grundsatz, so Ehrlichman, laute: »Je weniger Behandlung« den Patienten zuteilwerde, »umso mehr Geld verdiene« das Unternehmen. »Ausgezeichnet!«, heißt Nixons Urteil.
Eine verheerende Fehlentscheidung: Das HMO -Gesetz tritt noch vor dem ersten Rücktritt eines US -Staatsoberhaupts in Kraft. Der Republikaner Nixon gibt 1974 sein Amt ab, nachdem bekannt wird, dass er zumindest gebilligt hat, dass Geheimdienstler in das Hauptquartier der Demokraten eingebrochen waren, um dort Abhörwanzen zu installieren. Er vermeidet dadurch ein drohendes Amtsenthebungsverfahren. Der Jurist Ehrlichman sitzt wegen seines Parts an dieser Watergate-Affäre 18 Monate im Gefängnis.
Im Schatten dieses Skandals also passiert das Gesundheitsgesetz den Kongress. Die Öffentlichkeit nimmt kaum Notiz davon. Es hebt Vorschriften der Bundesstaaten auf, die zuvor verhinderten, dass die HMO -Unternehmen expandieren. Washington kurbelt mit staatlichen Fördermitteln die Ausbreitung der Organisationen sogar noch an. Arbeitgeber mit mehr als 25 Mitarbeitern werden verpflichtet, HMO -Versorgungspläne anzubieten. Statt des Arztes um die Ecke behandelt die Versicherten jetzt ein Mediziner des Unternehmens. Die Organisation zieht zudem Prämien von ihren Mitgliedern ein. Die Begleitmusik zu dieser Umstellung liefert der Kaiser-Vorstandssprecher Dr. David Lawrence. Den unabhängigen Praxisarzt bezeichnet er als »archaischen einsamen Adler«, der ziellos in den Schluchten einer längst vergangenen Zeit umherfliegt.
Kaiser Permanente ( KP ) ist heute die größte unter den 765 HMO s in den USA , mit mehr als 8,6 Millionen Mitgliedern, 167 000 Angestellten, 14 600 Ärzten und einem Umsatz von 42,1 Milliarden Dollar im Jahr 2009. An dem Versicherer mit Sitz im kalifornischen Oakland, der 35 Kliniken und 431 Versorgungszentren betreibt, scheiden sich die Geister wie an keinem anderen Unternehmen der Branche. Für die einen ist es eine gemeinnützige Gesellschaft, die versucht, Krankenversorgung finanzierbar zu halten, medizinische Teamarbeit voranzutreiben, um Patienten besser zu behandeln, und die Krankheitsvorsorge anzukurbeln, damit Menschen Leid erspart bleibt. Sie fasse alle diese Maßnahmen unter einem Dach zusammen, was Versicherten lange Wege und Wartezeiten erspart. Kurzum: Die Organisation baut eine zukunftsweisende Integrierte Versorgung aus und auf.
»Kaiser Permanente hat Edgar Kaisers Geschäftsmodell der Gewinnmaximierung nahezu perfektioniert«, sagen die Kritiker. Das Unternehmen zapft virtuos alle Geldquellen an, die das US -Gesundheitssystem bereithält. KP versichert Einzelpersonen, Familien und Wirtschaftsunternehmen, aber auch die Angestellten von Kommunen, Behörden, öffentlichen Einrichtungen in Washington und neun Bundesstaaten sowie von Verbänden und anderen Institutionen.
KP beteiligt sich als Versicherer und Versorger an den fast eine Billion Dollar schweren staatlichen Programmen
Medicare
und
Medicaid.
Da steht noch Staat drauf, aber drin ist Kaiser. Große Städte übertragen dem Konzern die Notfallversorgung. Behandelt werden alle Versicherte, aber auch Rentner und Pensionäre, ausschließlich in den eigenen Kliniken und ambulanten Zentren. Suchen sie andere Einrichtungen auf, müssen sie die Kosten selbst tragen.
Das Unternehmen besteht aus drei großen Zweigen. Zwei firmieren als nichtprofitorientierte oder gemeinnützige Stiftungen. Sie sind für die Krankenversicherungen und die Kliniken zuständig und von der Steuer befreit. Die Permanente Medical Groups betreiben die medizinischen Versorgungszentren: erste Anlaufstelle für alle Patienten, sofern es sich nicht um akute Notfälle handelt. Sie unterliegen keinen Gewinnbeschränkungen. Als Profitcenter würde KP sie aber nie bezeichnen.
Geld verdienen dürfen US -Stiftungen allerdings schon. Begrenzt ist die direkte Ausschüttung des Ertrags an die Kapitaleigner.
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