Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
von Fabrikgeländen, als Türsteher in Diskotheken, Clubs oder privaten Wohngebäuden sind sich ihrer Funktion oft sehr bewusst. Wer ihnen nicht passt, meckert oder ungelegen kommt, den können sie das intensiv spüren lassen. Rasch wird aus dem Lieferanten, Kunden oder Besucher ein Bittsteller, der gar nicht vorgelassen wird oder sich in großer Geduld üben muss. Allgemeinärzte verfügen über eine ungleich mächtigere Position. Fungieren sie – wie in fast allen US -Versicherungspolicen und staatlich finanzierten Gesundheitsplänen vorgesehen – als Lotse durch die Krankenversorgung, entscheiden zunächst sie, welche Behandlung ein Patient erhält. Der Primärarzt veranlasst jenseits des Atlantiks rund 80 Prozent aller Gesundheitsprozesse. (In Deutschland ist dies nicht anders.) Den Zugang zum System kontrolliert Kaiser Permanente also vollständig. Sie erinnern sich: Wer sich an einen anderen Arzt wendet, muss die Rechnung selbst bezahlen.
Doch damit nicht genug. In jedem Versorgungszentrum prüft eine zweite Instanz, ob kostspieligere Diagnosen oder Therapien bis hin zu einer Operation gewährt werden. Fernab von den Kranken, am Schreibtisch sitzend, prüfen medizinische Direktoren anhand der Unterlagen die »Fälle«. Da gilt es, zwischen den Angaben in der Krankenakte und den übergeordneten Zielen abzuwägen. Diese Form des Versorgungsmanagements (managed care), das verspricht, den Patienten durch das Gesundheitswesen zu begleiten, um ihn optimal zu behandeln und unnötige, für ihn belastende Doppeluntersuchungen zu vermeiden, entpuppt sich als ein äußerst durchdachtes Verfahren, um medizinische und pflegerische Leistungen sowie die Arzneimittelgabe einzuschränken oder sie den Kranken meist mit subtilen Mitteln und selten nachprüfbaren, aber zunächst einleuchtenden Begründungen vorzuenthalten.
Nun kommen wir auf ein weites Feld von Dichtung und Wahrheit. »Brüche des Hüftgelenks könnten um 25 Prozent reduziert werden« oder »Pilotprogramm reduziert den Herztod um fast drei Viertel« – mit schlagzeilenträchtigen Studien macht Kaiser Permanente gern öffentlich auf sich aufmerksam. Die genannten Erfolge stellen sich ein, wenn Patienten, Pharmazeuten, Krankenschwestern, Allgemeinmediziner und Fachärzte intensiv zusammenarbeiten, trägt der Konzern gebetsmühlenartig vor. Die elektronische Krankenakte bringe alle Beteiligten dazu auf den aktuellen Informationsstand. In Teamarbeit entwickeln alle Beteiligten Aktivitäten, die auf den Lebensstil der Erkrankten einwirken, ihre Arzneimitteleinnahme managen, sie zu gesundem Verhalten erziehen und Labortestergebnisse überwachen. Es gehe keineswegs um Rationierung von Gesundheitsleistungen, wird KP -Vorstandschef George Halvorson nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen. Die »richtige« Behandlung Kranker sei das Ziel. Die HMO untermalt solche Konzepte stets mit der Forderung nach einer neuen »Gesundheitskultur«. Diese müssten sich die Konsumenten nur zu eigen machen. »Gut und erfolgreich leben« heißt die Botschaft einer seit 2004 laufenden Werbekampagne. 40 Millionen Dollar hat die Organisation dafür springen lassen. Ins Unterbewusstsein der Bevölkerung soll dringen: Jeder ist für sein Wohlbefinden verantwortlich. Wird jemand krank, trägt er im Umkehrschluss allein die Schuld an seinem Zustand.
Die Erfolge der Versorgungsprogramme klingen beeindruckend. Mit ihrem Pilotprojekt »Herztod« gelingt es KP im US -Bundesstaat Colorado, das »Risiko an einer auf das Herz bezogenen Krankheit zu sterben, um 88 Prozent« zu senken. Ihren Cholesterinwert erreichen statt 26 jetzt 73 Prozent der Patienten. Das Vorsorgeprogramm »Gesunde Knochen« für über 50-Jährige »verringert die Rate der Hüftgelenkbrüche um 38 Prozent. Es stellt sicher, dass bei Risikopatienten die Knochendichte gemessen wird und sie Arzneimittel erhalten, die sie benötigen.« Wen überzeugt dies nicht? Dass häufig bereits eine kalziumreiche Ernährung und ausreichende Bewegung gegen Knochenschwund im Alter ausreicht, muss ja nicht erwähnt werden. Kaiser Permanente gibt diese Studien selbst in Auftrag. Bei der Organisation tätige Mediziner führen entweder die Feder oder werten die Ergebnisse ganz in Eigenregie aus. Ihr Aussagewert bleibt daher äußerst begrenzt. Wie sagt schon der Volksmund: Eigenlob stinkt.
Wie die Versicherten die Modellvorhaben beurteilen, behält die Organisation ebenfalls für sich. Teilnehmer an den Innovationen kommen jedenfalls nicht
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