Kraut und Rübchen - Landkrimi
schönes Leben führen.
Der Schuldschein lag auf dem blank gescheuerten Küchentisch. Agnes saß davor, mit sehr geradem Rücken, und betrachtete das Papier wie ein Insekt.
»Er hat mir nichts davon gesagt.«
»Hätte er das müssen?« Meine Dienste auf anderen Höfen in den vergangenen Sommern hatten mich gelehrt, dass die Frauen nichts wert waren. Auch die Ehefrauen der Dienstherren nicht. Sie waren nichts als weitere dienstbare Geister, die mal mehr, mal weniger gut behandelt wurden.
»Anders war ein guter Mann.« Agnes lächelte. »Er hat nicht nur die Last geteilt.« Sie streckte die Hand nach dem Schuldschein aus. Ihre schmalen Finger strichen über die Tinte und das Siegel. »Das Korn stand im letzten Jahr nicht gut. Zu lange Frost und dann die Trockenheit im Sommer. Ich weiß nicht, ob wir in Geldnöten waren.« Sie sah mich an.
»Willst du sagen, dass Froböss die Schuld erfunden hat?«
»Um mich unter Druck zu setzen.«
»Weil du ihn niemals zum Mann genommen hättest, wenn du nicht dazu gezwungen gewesen wärst?«
Sie nickte. »Aber darum kann es ihm nicht gegangen sein. Er hat zwei Söhne, genug Erben.«
»Es ging ihm darum, sich den Hof und die Felder einzuverleiben. Seine Güter zu vermehren. Nicht um dich.«
»So wird es sein.« Sie schloss ihre Finger um den Schuldschein und ballte sie zur Faust. Das Papier knisterte. Ohne ein weiteres Wort stand sie auf, ging zum Ofen und öffnete die Feuerklappe. »Wir werden nie wieder danach fragen, mit niemandem je wieder darüber reden.« Sie sah mich an. »Versprich es mir, Hilda.«
Ich versprach es.
Bis heute konnte ich mein Versprechen halten. Wir beide hielten es und schwiegen so lange, bis wir das Schweigen selbst vergaßen.
Lachen und ein gutes Auskommen kehrten in unser Leben zurück. Agnes’ Sohn, der beim Tod seines Vaters noch nicht hatte laufen können, gedieh prächtig, die Ernten brachten gute Erträge, und wir fanden Zeit, weiter an meinen Schreib- und Lesekünsten zu arbeiten.
Ich sammelte den Sommer über Kräuter, vervollkommnete mein Wissen über ihre Wirkungen und probierte neue Rezepte, schrieb sie auf. Immer häufiger kamen die Frauen des Dorfes mit ihren Krankheiten und Nöten zu mir. Ich half, so gut ich konnte. Heilte Ausschläge und Hustenkatarrhe, wo der Weg zum Arzt zu weit oder zu kostspielig war.
Es ging uns gut, und ich dachte nicht mehr an Froböss und sein verdientes Ende. Bis zu dem Tag, an dem die Mayerhoferin vor mir stand, grün und blau an Armen und Beinen, und mich um Hilfe bat.
Sie knüpfte ihr Leibchen auf und zeigte mir schweigend ihren Oberkörper. Arme, Rücken und die Rippen unterhalb ihrer Brust waren mit Flecken übersät, die im Licht der Öllampe dunkel schimmerten.
»Eine Kuh hat mich so zugerichtet«, murmelte sie und vermied dabei, mir in die Augen zu sehen. Ich untersuchte sie. Betrachtete die Ergüsse. Einige waren von tiefem Rotblau, andere lilafarben, wieder andere grünlich-gelb.
»War es nicht eher ein Ochse?« Ich stand auf und ging, um meine Tinkturen zu holen. Ich kannte den Mayerhofer. Ein grober Kerl, der seine Tage oft bei einem Krug Bier und mehr als einem Schnaps zubrachte, statt in der Schmiede zu arbeiten. Drei Kinder hatte er zu füttern, zwei waren gestorben. Doch es war die Mayerhoferin, die den Kindern das Essen einbrachte. Sie verdingte sich bei den Bauern, brachte Brot und manchmal ein Stück Fleisch mit nach Hause.
Jetzt weinte sie, biss sich auf die Lippen und senkte den Kopf.
»Nein.«
»Diese Flecken hier hast du an einem anderen Tag bekommen als diese.« Ich wies auf die Stellen an ihrem Körper. Sie nahm ihr Leibchen und presste es an sich. »Ich sehe es an ihrer Farbe.« Ich strich ihr sanft über den Arm. »Bei mir brauchst du nicht zu lügen, Mayerhoferin. Die Wahrheit ist nicht zu übersehen.«
Sie schwieg.
Ich stellte die Tiegel mit Arnika, Zaubernuss, Ringelblume und Sonnenhut auf den Tisch. In einem Topf erwärmte ich Schweineschmalz, bis es geschmolzen war. Nacheinander tat ich die Kräuter in das warme Fett und ließ alles aufkochen. Während die Masse durchzog, wandte ich mich wieder der Mayerhoferin zu.
»Trinkt dein Mann immer noch so viel?«
»Ja.« Sie nickte und sah mich an. »Immer mehr. Er braucht nun schon morgens sein Bier, wird unleidlich, wenn er nichts bekommt. Das Arbeiten fällt ihm immer schwerer, und er will mich …« Sie brach ab und weinte wieder.
»Was will er? Seine Eherechte?«
Die Mayerhoferin nickte. »Aber wenn ich noch
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