Kraut und Rübchen - Landkrimi
nicht gereicht, sollte ich den Artikel jetzt auch noch heute Abend abgeben? Ich öffnete die Nachricht. Sie war knapp gehalten.
»Wir brauchen einen Artikel über Gänseblümchen. Niemand sonst hat Zeit. Mach das bitte anstelle des anderen Textes. Abgabetermin wie gehabt.«
Das Display grinste mich höhnisch an. Das durfte doch nicht wahr sein.
»Du verdammter Scheißkerl«, schrie ich das Handy an und hätte es am liebsten an die Wand geschmettert. Gänseblümchen? Hatte der sie noch alle? »Na warte«, zischte ich und öffnete die Antwortfunktion. »Du kannst dir deine Gänseblümchen sonst wohin stecken, sehr verehrter Herr Chefredakteur. Ich kündige. Fristlos«, schnauzte ich das Handy an.
Es reichte mir wirklich. Ein Grund mehr, die Knete einzustreichen und hier zu verschwinden. Ich suchte nach den richtigen Worten. Kurz und knapp. Böse, aber nicht so, dass es klänge, als ob ich rachsüchtig, nachtragend oder gar beleidigt wäre. Obwohl das alles natürlich zu hundert Prozent zutraf. Mein Daumen schwebte über der Tastatur wie ein Adler, kurz bevor er auf seine Beute niederstieß. Jemand stupste mich in die Seite. Ich sah auf.
»Rita, was machst du hier?« Die Ziege brachte mich komplett aus dem Konzept. »Wieso …«
Wieso bist du hier und nicht im Gehege, wollte ich fragen, aber Rita ließ mich nicht zu Wort kommen. Sie meckerte laut und vernehmlich. Dann biss sie in meine Bluse und knabberte daran.
»Hör auf!« Ich schob sie weg. Das schien nicht in ihrem Sinne zu sein. Sie stupste mich erneut, diesmal heftiger. Ich schwankte. Das Handy fiel auf den Boden, direkt in eine Schlammpfütze. Rita machte einen Schritt nach vorn und versenkte das Telefon endgültig. Ich schrie auf, bückte mich und wühlte mit beiden Händen im kalten Matsch. »Du blödes Viech.« Ich verscheuchte sie.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich das Handy gefunden hatte, aber die reichten dem Schlamm, um in sämtliche Ritzen zu dringen und das Innere zu überfluten. Das Display blieb dunkel. Rita drehte sich um und trabte zielsicher in Richtung von Margas Hecke.
»Oh nein. Stopp!«, brüllte ich ihr hinterher, aber sie ignorierte mich. Die machte, was sie wollte, ohne Rücksicht auf Verluste. Was ist mit den anderen Viechern?, dachte ich, sprintete zum Gehege und seufzte erleichtert auf.
Jane, Marylin und Ludwig schauten mich an und ließen sich nicht weiter stören. Ich kontrollierte und sicherte das Tor, griff nach einem Seil und rannte um die Hecke herum in Margas Garten. Rita kaute bereits genüsslich an einem Strauch. Ich ging zu ihr, legte ihr das Seil um den Hals und zerrte wütend daran. Die Ziege sah mich an und zwinkerte mir zutraulich zu. Widerstandslos folgte sie mir, die letzten grünen Sprossen zwischen ihren Zähnen zermahlend. Ich blickte zurück auf den Garten. Im Sommer wäre er sicher ein Paradies. Ich erkannte die Anlage der Staudenbeete, die ersten Sträucher blühten, und überall reckte frisches Grün die Spitzen aus der Erde. Was für eine Mühe Marga in diesen Garten stecken musste, um ihn so aussehen zu lassen, konnte ich nur ahnen. Die Vorstellung, das alles unter einer Baggerschaufel verschwinden und die Obstbäume fallen zu sehen, erschien mir nur halb so schrecklich wie die von Margas Trauer über den Verlust. Jede von ihnen verlor sehr viel, wenn der Investor seine Pläne wahr machen konnte. Ich schloss die Augen, atmete tief ein. Eine. Million. Euro. Stellte mir das Geld auf einem Haufen vor. Atmete aus.
Nein. Sie waren füreinander da, wie eine Familie. Da konnte ich nicht kommen und alles zerstören. Außerdem regte sich in mir die kleine Pflanze des Widerstands gegen so ein rücksichtsloses Vorgehen. Nur weil auf der einen Seite Geld vorhanden war, das auf der anderen Seite fehlte, hatte der eine Investor noch lange nicht das Recht, alle anderen zu behandeln, wie es ihm passte.
Björn konnte ein wenig Gegenwind sicher auch gut vertragen. Er würde sich noch wundern. Ich ließ mich nicht aus der Redaktion mobben. Denn dass das seine Absicht war, daran hatte ich keinen Zweifel mehr. Er wollte Gänseblümchen? Gut, dann bekam er Gänseblümchen. Aber ganz anders, als er sich das dachte.
Vorher musste ich nur noch eine einzige Sache klären, dann würde ich den anderen meinen Entschluss mitteilen.
»Du wusstest doch von Anfang an über die ganze Sache Bescheid, oder?« Ich lehnte mich an den Türrahmen. Alex schaute hinter seinem Empfangsschalter auf und schien überrascht. Sein letzter
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