Kraut und Rübchen - Landkrimi
ich nett zu Ihnen.« Er lächelte kalt und neigte den Kopf wie eine Schlange vor dem Kaninchen.
»Und bin ich es nicht, gilt das ebenso für Sie, vermute ich mal.« Ich ging zur Tür und öffnete sie.
»Das haben Sie gesagt, Frau Rübchen. Mir würde es im Traum nicht einfallen, Sie zu bedrohen.« Froböss lachte. »Nie.« Er machte eine kurze Pause. Was erwartete er von mir? Dass ich mich entsetzt umdrehen und auf seine Provokation reagieren würde? Dass ich seinem Vorschlag zustimmen würde? Ich zögerte, bevor ich den Büroflur betrat und die Tür hinter mir zuzog. »Ach, und bevor ich es vergesse, Frau Rübchen. Richten Sie doch bitte meinem Sohn Alex die besten Grüße aus, wenn Sie ihn sehen.«
Ich erwachte in die Dunkelheit hinein. Aber es war eine andere Art der Dunkelheit. Keine weiche, die mich willkommen hieß und sacht bettete. Es war eine kalte Dunkelheit. Feucht. Hart. Ich orientierte mich, erkannte langsam Umrisse, hörte Geräusche in der Stille. Atmen. Mein eigenes Atmen. Rasselnd. Mühsam. Als ob es nicht zu mir gehören würde. Das andere tief und gleichmäßig. Ich lag in meiner Kammer. Katharina saß auf einem Stuhl neben meinem Bett. Ein Buch lag auf ihrem Schoß, unsere Hausbibel. Ihre Linke ruhte darauf, die rechte Hand hing schlaff herunter. Ihr Kinn auf die Brust gesunken, das Haar halb gelöst auf den Schultern. Ich lächelte. Mein Kind hatte Wache gehalten an meinem Krankenlager. Gebetet. Ich sollte nicht allein auf meine letzte Reise gehen. Sollte beschützt sein durch ihre Liebe und ihren Glauben. Aber ich durfte sie noch nicht verlassen. Langsam richtete ich mich auf, horchte auf den Schmerz in meinem Inneren, fand und verbannte ihn. Er nistete sich ein. Die dumpfe Mahnung zur Eile. Die Streichhölzer lagen neben der Kerze auf meinem Nachttisch. Ich rieb das Zündköpfchen über die raue Fläche, die Flamme blitzte auf, und ich entzündete den Docht. Katharina rührte sich im Schlaf, wachte aber nicht auf.
Der Stift gleitet über das Papier, Seite um Seite. Ich schreibe alles auf. Damit es nicht in Vergessenheit gerät.
»Mutter?« Meine Stimme war noch dunkel vom Schlaf. Ich reckte meine Glieder gegen die Steifheit, rieb die Müdigkeit aus meinen Augen. Ich musste in dem Sessel eingeschlafen sein. Sie legte den Stift auf die aufgeschlagene Seite und lächelte. Hatte sie, während ich schlief, die ganze Zeit über in das kleine Buch geschrieben? Ich machte mir Sorgen um sie. Um ihre Gesundheit. Und ich hatte Angst vor dem, was sie mir sagen würde, bevor sie ging. »Geht es dir besser?«, wollte ich wissen.
»In gewissem Sinne ja.« Mutter nickte. Ich klappte die Bibel zu und stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus.
»Stimmt es?«, fragte ich, ohne mich umzuwenden. »Hat die Fremde heute vor der Kirche die Wahrheit gesprochen?«
»Ja.« Mutter räusperte sich. »Mein Kind, ich will dich nicht belügen. Du musst die Wahrheit kennen. Dein Urteil fällen, das für mich mehr Gewicht hat als jedes richterliche Wort.«
»Die anderen haben für dich ein falsches Zeugnis abgelegt.«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil ich ihnen einmal geholfen habe.«
»Womit hast du ihnen geholfen?« Ich wollte ihr nicht in die Augen blicken und starrte weiter aus dem Fenster. Die Dämmerung gab mir keine Antwort.
»Komm zu mir, Katharina. Ich will dir ins Gesicht sehen.« Mutters Worte kratzten durch ihre Kehle. Ich hörte ihre Seelennot. Trotzdem blieb ich stehen. Was sie sagen wollte, würde mein Leben aus den Angeln heben. Alles verändern. Meine Wurzeln. Das, woran ich geglaubt hatte. Was mir Anker und Halt gewesen war. »Bitte.« Ihre Stimme, so fremd. Ich schaute sie über meine Schulter hinweg an, fühlte mich wie tot. Keine Wertung. Kein Gutheißen. Kein Schuldspruch. »Bitte komm zu mir, Kind.«
Langsam drehte ich mich um, zögerte.
»Ich habe keine Angst vor der Hölle und der Verdammnis. Beides wiegt nichts gegen dein Urteil. Aber du musst mir zuhören. Das erbitte ich von dir. Nur das.«
Ich ging zum Bett und setzte mich wieder auf den Stuhl. Presste die Lippen zu einem schmalen Grat, verbot mir alle Fragen und Vorwürfe. Ich hörte zu. Ließ sie reden. Berichten, von Anfang an. Vom Leiden, von der Not, von den Toten.
»Du hast Leid gemindert damit.«
»Es war meine Aufgabe.« Mutter griff nach meiner Hand, öffnete sie und legte das Buch hinein. Ich griff danach, schlug wahllos eine Seite auf, versuchte zu erfassen und zu verstehen, was da stand. Was es bedeutete. Für mich. Für
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