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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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selten« mit auf den Weg gegeben. Die Überlegung hatte aber einen Pferdefuß. Und der hatte mit einer bestimmten genetischen Untergruppe des Brustkrebses zu tun.
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    Zunächst einmal scheint die Multi-Hit-Theorie eine beruhigende Perspektive zu sein. Eine einzige Mutation reicht bei Weitem nicht aus, um eine loyale Körperzelle vollständig zu korrumpieren. Die Zahl der notwendigen Mutationen mag schwanken. Am besten untersucht ist die Frage bei häufigen Krebsarten wie dem Darmkrebs und dem Brustkrebs. In den Zellen dieser Tumoren finden sich oft über fünfzig mutierte Gene, von denen mehr als ein Dutzend mit großer Wahrscheinlichkeit ursächlich an der Entstehung des Tumors beteiligt waren. 40 Das sind deutlich mehr Veränderungen, als die Modellrechnungen aufgrund der altersspezifischen Erkrankungshäufigkeiten voraussagten. 41 Manche Wissenschaftler waren daher der Meinung, dass eine Lebenszeit gar nicht ausreichen könnte, um so viele Mutationen zu erwerben, wenn nicht auf dem Weg zur Krebszelle irgendeine Art von positivem Rückkopplungsmechanismus im Spiel wäre.
    Ihr Ausweg aus dem Dilemma war die Idee, dass es eine Art von Mutator-Genen geben muss. Deren Veränderung wirke wie ein Dammbruch und ziehe eine deutlich erhöhte Anfälligkeit für weitere Genmutationen nach sich.
    Die Existenz solcher Gene war zunächst nichts als Spekulation. Nach und nach wurden aber immer mehr molekulare Instrumente entdeckt, die den Zellen komplexerer Organismen zur Reparatur von DNA-Schäden zur Verfügung stehen. Damit wurde deutlich, was sich hinter dieser Vermutung verbergen könnte. Mutator-Gene sind nichts anderes als Gene, die Eiweißebereitstellen, die die vielfältigen Elemente der DNA-Reparatursysteme konstituieren. 42 Mutationen, die solche Gene inaktivieren, erhöhen die Mutationsrate in den betroffenen Zellen. Im Grundsätzlich können solche Gene als eine sehr spezielle Variante von Tumorsuppressor-Genen betrachtet werden.
    Im 2. Kapitel habe ich erwähnt, dass DNA-Schäden im Inneren einer Zelle ein im wahrsten Sinne des Wortes alltägliches Phänomen sind. Im Laufe eines einzigen Tages sind in einer einzigen Zelle zwischen 1000 und 1

000

000 solche Schadenereignisse zu verzeichnen. 43
    Umweltfaktoren erweitern den Katalog
möglicher DNA-Schäden zusätzlich. Ionisierende Strahlen 44 können Einzel- oder Doppelstrang-Brüche verursachen. Mutagene Chemikalien (Kanzerogene) verändern die Basen durch Quervernetzung untereinander oder durch das Anhängen fremder Molekülgruppen.
    Viele DNA-Schäden verändern die natürliche chemische Gestalt eines DNA-Bausteins. Übertragen auf die Text-Metapher entsteht ein Buchstabe, der in der natürlichen Sprache der DNA nicht existiert. Er wäre vergleichbar mit dem plötzlichen Auftauchen eines ü in einem englischen oder eines in einem deutschen Text. Solche Schäden verwischen die eindeutige Kenntlichkeit der einzelnen Buchstaben und leisten Verwechslungen Vorschub.
    Die Mutationen, die aus diesen Verwechslungen resultieren, bestehen in einer Veränderung der Abfolge der Buchstaben des genetischen Textes. Solange nur die Basensequenz eines einzelnen Stranges betroffen ist, kann der Fehler aufgrund der Fehlpaarung zum komplementären Strang relativ leicht erkannt und behoben werden. Wenn sich der komplementäre Strang an die Veränderung anpasst und die Fehlpaarung durch die Veränderung seiner eigenen Basensequenz »korrigiert«, dann kann die Mutation durch die »semantisch blinden« DNA-Reparaturenzyme nicht mehr erkannt werden. DNA-Reparaturenzyme können nicht wirklich »lesen«. Sie »verstehen« den Sinn der Wörter des genetischen Codes nicht. Sie können nicht beurteilen, ob die Codierung eines entsprechenden Eiweißes durch innere Sequenz oder die Abfolge der Basentripletts 45 korrekt wiedergegeben wird. Sie erkennen lediglich, ob die Gestalt eines DNA-Bausteins von der Norm abweicht oder ob die im Doppelstrang gegenüberliegenden Basen falsch verpaart sind.
    Sie erinnern sich an das 2. Kapitel? Die Regeln von Watson und Crick besagen, dass sich A grundsätzlich mit T paart und G mit C. Bleiben Fehlerunerkannt, dann werden sie auf die Tochterzellen vererbt. Damit wäre die Mutation festgeschrieben, und sie kann auch kaum jemals wieder aus der genetischen Bibliothek des Individuums gelöscht werden. Wenn Keimzellen – Ei- oder Samenzellen – von einer solchen Mutation betroffen sind, dann verändert sich damit sogar das genetische Repertoire

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