KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
der gesamten Art. Da Mutationen selten vorteilhaft sind und selbst Mutationen, die einer einzelnen Zelle Wachstumsvorteile verschaffen, in vielzelligen Organismen unerwünscht sind, hat die Evolution wirksame Instrumente zur Reparatur von DNA-Schäden entwickelt. Säugetiere verfügen über mehrere komplexe Systeme, die auf die Reparatur verschiedener Typen von DNA-Schäden spezialisiert sind. Welche Proteine oder Proteinfamilien für die Reparatur rekrutiert werden, hängt von der Art des Schadens und der Phase des Zellzyklus ab, in der das Problem erkannt wird.
Die DNA-Reparatur hat zwei Ziele: Sie soll die betroffene Zelle schützen, indem sie Schäden repariert, die wichtige biologische Funktionen blockieren oder sogar das Überleben der Zelle bedrohen. Große, vielzellige Organismen können aber den Verlust einzelner Zellen leicht verschmerzen. Bei ihnen ist es wichtiger, den Organismus vor Mutationen schützen, die den betroffenen Zellen Vorteile verschafft haben. Wir haben gesehen, dass onkogene 46 Mutationen die Zellen nicht schädigen, sondern ihnen im Gegenteil Wachstumsvorteile gegenüber den anderen Zellen verschaffen. Versagt in solchen Fällen die Reparatur, so kann ein Feind im eigenen Körper heranwachsen.
Dem Körper bleibt noch eine letzte Reißleine. Versagt die Reparatur, kann er versuchen, die ungebärdige Zelle in einen irreversiblen postmitotischen Zustand, die sogenannte Seneszenz, zu versetzen, oder er kann sie durch die Aktivierung ihrer Apoptose-Programme in den Selbstmord treiben.
Manche Reparaturen sind einfach
und laufen ab, ohne dass der DNA-Strang dazu aufgebrochen werden muss. Enzyme lösen ineinander verhakte DNA-Bausteine oder spalten unerwünschte Methylgruppen einfach wieder von der betroffenen Base ab. Wenn möglich, nutzt die Zelle aber die Sicherheitskopie des noch intakten DNA-Strangs, um die Buchstabenfolge des Originaltextes wieder herzustellen. Bei vielen solchen Defekten, die nur einen der beiden DNA-Stränge betreffen, kooperieren ganze Protein-Systeme, um solche Einzelstrangbrüche oder andere Veränderungen wieder zu reparieren. 47
Ein drittes System, das Mismatch-Reparatur-System (MMR), ist darauf spezialisiert, die bei der DNA-Replikation auftretenden Fehler an Ort undStelle zu erkennen und zu beheben. Das Besondere an diesen Mismatch-Fehlern ist ja, dass sie nicht auf Schäden an den Basen beruhen und deren Gestalt verändern, sondern durch die Verletzung der Watson-Crick-Regeln zustande gekommen sind. Es handelt sich also um Fehlpaarungen intakter und völlig normaler Basen im Verlauf des Prozesses der Strangverdopplung.
Schwere Schäden wie Doppelstrangbrüche sind für die Zelle selbst besonders gefährlich.
Sie führen oft zum Tod der Zelle. Manchmal werden aber durch die Doppelstrangbrüche auch ganze Abschnitte im Genom umgruppiert. Bei diesen Translokationen können Genabschnitte, aber auch ganze Gene zwischen Chromosomen ausgetauscht werden und dadurch plötzlich in eine fremde Umgebung geraten. Solche Veränderungen großer Teile von Chromosomen sind unter Umständen sogar unter dem Mikroskop zu beobachten.
Sie waren es, die Theodor Boveri schon vor 100 Jahren auf seine Chromosomentheorie des Krebses brachten. Das berühmte Philadelphia-Chromosom, das bei der chronisch myeloischen Leukämie auftritt, ist durch einen solchen Austausch von Genabschnitten zwischen zwei Chromosomen entstanden. Manchmal gehen durch Doppelstrangbrüche aber auch ganze Genabschnitte einfach verloren. Dieser Vorgang wird Deletion genannt.
Abbildung 7: DNA-Ligase bei der Reparatur chromosomaler Schäden (Pfeile): Dieses Enzym verbindet die gerissenen Ketten, indem es die Bildung chemischer Brücken (Ester-Bindungen) zwischen den Nukleotiden fördert (links: echte Chromosomen bei max. lichtmikroskopischer Vergrößerung; rechts: Computergenerierte Darstellung der DNA + Ligase auf der Basis röntgenkristallographischer Strukturdaten).
Im Lauf der Zeit hat die Evolution selbst zur Reparatur solcher komplexer Schäden entsprechende Proteinsysteme entwickelt. Die Zelle verfügt über Eiweiße, die die Enden entzwei gerissener Doppelstränge erkennen. Sie umschließen die nackten Enden beider Seiten und bringen sie in räumliche Nähe zueinander. Damit geben sie einer DNA-Ligase, unterstützt durch eine Reihe weiterer Proteine, die Chance, beide Enden wieder miteinander zu verknüpfen. Dieser Prozess wird End-Zu-End-Verbindung oder im international kompatiblen Jargon der Fachleute
Weitere Kostenlose Bücher