KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
angesetzt.
Dieser Arzt signalisierte Entwarnung. Nach einer Ultraschalluntersuchung war er der Meinung, es handle sich um eine Milchgangszyste. Das ist ein häufiges Phänomen in einer Brust, die seit fast sechs Monaten täglich etliche Milchrationen zur Verfügung stellen muss.
Ich nahm diese Erklärung beruhigt zur Kenntnis, und die Wochen gingen ins Land.
Nach Fasching war die Kirsche immer noch da, und sie wurde größer.
Sechs Wochen später, Anfang April, war aus der Kirsche eine kleine Walnuss geworden. Ich war immer noch nicht sonderlich irritiert. Es gab viele überzeugende Erklärungen für diese Walnuss, alle samt und sonders wahrscheinlicher als ausgerechnet eine Krebserkrankung bei einer 35-jährigen Frau ohne bekannte Risikofaktoren.
Imogen ging nochmals zur Kontrolluntersuchung. Auch der erneute Ultraschall beim Frauenarzt kam zu keinem anderen Ergebnis. Immerhin schien entweder der wachsende Befund oder Imogens wachsender Argwohn die Sicherheit seines Urteils ein wenig zu erschüttern. Der Gynäkologe schlug vor,sie solle doch noch eine Kontrolle in der Tübinger Universitätsklinik durchführen lassen, wenn sie sich unbehaglich fühle.
Zwei Tage später standen wir im Untersuchungszimmer der Frauenklinik der Tübinger Universität. Dort stellte sich der Knoten nicht mehr wie Flüssigkeit, sondern eher wie ein solides Gewebe dar, ein nach »bildmorphologischen Kriterien«, so der professionell deformierte Jargon der Untersuchers, grenzwertiger Befund.
Das waren die Worte des untersuchenden Arztes. Am selben Tag wurde eine Gewebeprobe entnommen: Das Drama nahm seinen Lauf.
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Wie tritt Krebs in Erscheinung?
In diesem Kapitel nehme ich Sie mit zur Jagd auf ein Chamäleon. Krebs ist ein Meister der Tarnung und der Metamorphose. Er tritt verborgen hinter vielgestaltigen Masken und in vielerlei Verkleidungen auf. Oft täuscht der erste Anschein über die wahre Identität der Erkrankung hinweg. Krebs ist eine Krankheit mit tausend Gesichtern, und er macht es dem Arzt mitunter schwer, sofort die richtige Diagnose zu stellen.
Wir haben gesehen, dass Krebs von fast jedem Gewebe des Körpers ausgehen kann. Tumoren wachsen vom Scheitel bis zum großen Zeh. Nicht selten tritt Krebs dabei tatsächlich als Tumor in Erscheinung. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff Tumor bedeutet zunächst nichts anderes als Schwellung. Schwellungen können natürlich vielerlei Ursachen haben. Im medizinischen Alltag wird der Begriff aber zunehmend mit bösartigem Tumor gleichgesetzt und als Synonym für eine Krebserkrankung verwendet, so auch – wenn nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet – in diesem Buch. Bei Krebserkrankungen der oberflächlichen Körperschichten wie dem Brustkrebs, den verschiedenen Formen des Hautkrebses, bei den Tumoren der äußeren Geschlechtsorgane, bei oberflächlich gelegenen Bindegewebstumoren (Sarkomen) oder auch bei manchen Fällen von Lymphdrüsenkrebs bemerken die Patienten oft selbst die Erkrankung als Schwellung, Knoten oder Verhärtung.
Aber beileibe nicht immer kommt der Krebs tritt als ein sichtbares odertastbares Geschwulst in Erscheinung. In der Mehrzahl der Fälle versteckt sich die Erkrankung hinter ganz anderen Symptomen. Kopfschmerzen, verstopfte Nase, Schluckbeschwerden, Husten, Atemnot, Gelbsucht, Durchfall, Juckreiz oder Hautausschlag, selbst Wahnvorstellungen und Psychosen können die Spitze eines bösartigen Eisbergs sein. Es gibt kaum ein Krankheitszeichen, das nicht durch eine Krebserkrankung verursacht worden sein könnte.
Von solchen Symptomen
, den ersten möglichen Anzeichen für eine Krebserkrankung, möchte ich im ersten Teil dieses Kapitels erzählen. Aber Vorsicht! Diese Lektüre kann Nebenwirkungen verursachen. Sie könnte eine typische Medizinstudenten-Paranoia auslösen. Werden Studenten meines Fachs zum ersten Mal mit einer Fülle mehr oder weniger schrecklicher und bisher unbekannter Krankheitsbilder konfrontiert, neigen nicht wenige dazu, jedes nur erdenkliche Ziepen und Kratzen als Symptom einer drohenden gesundheitlichen Katastrophe zu missdeuten. Im Rahmen der rund sechsmonatigen Vorbereitungszeit auf das zweite Staatsexamen suchte einer meiner Kommilitonen nicht weniger als sechs verschiedene Ärzte auf, deren Fachrichtung in auffälliger Weise stets eng mit dem jeweiligen Lernstoff korreliert war, den er gerade durcharbeitete. Das einzige größere Fach, das er ausließ, war die Gynäkologie.
Das wäre genau das Gegenteil dessen,
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