Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
und erreiche schließlich, was ich mir unbewusst wünsche: Ich sehe nicht mehr, wie dumm und gemein meine Lage ist.
Gegen drei kommt sie nach Hause. Sie begegnet mir ohne ein Wort. Ich bilde mir ein, sie hätte nachgegeben, und rede davon, wie ihre Vorwürfe mich provoziert hätten. Sie sagt mit unverändert strenger, furchtbar erschöpfter Miene, sie sei nicht gekommen, um sich auszusprechen, sondern um die Kinder zu holen, wir
könnten nicht weiter zusammenleben. Ich sage, es sei nicht meine Schuld, sie habe mich aus der Fassung gebracht. Sie wirft mir einen strengen, feierlichen Blick zu und sagt: ‹Sprich nicht weiter, sonst wirst du es bereuen.›
Ich sage, ich könne Komödien nicht ausstehen. Sie schreit etwas, das ich nicht verstehe, und läuft auf ihr Zimmer. Gleich darauf klimpert ein Schlüssel: Sie hat sich eingeschlossen. Ich klopfe, keine Antwort, ich ziehe erbost ab. Eine halbe Stunde später kommt weinend Lisa gelaufen.
‹Was ist? Ist etwas passiert?›
‹Bei Mama ist es ganz still.›
Wir gehen hin. Ich rüttle mit aller Kraft an der Tür. Der Riegel ist nicht ganz vorgeschoben, beide Türflügel gehen auf. Ich trete ans Bett. Sie liegt in ihren Röcken und hohen Stiefeln in ungelenker Pose auf dem Bett, bewusstlos. Auf dem Tisch ein leeres Opiumfläschchen. Wir bringen sie zu Bewusstsein. Wieder gibt es Tränen, schließlich eine Versöhnung. Und doch keine Versöhnung: Im Herzen tragen wir beide noch immer dieselbe Wut aufeinander, nur kommt jetzt noch der Groll über den Schmerz hinzu, den dieser Streit uns zugefügt hat und den wir jeder dem anderen anlasten. Aber irgendwie muss man diese Geschichte ja beenden, und so
geht das Leben weiter seinen Gang. Solche und noch schlimmere Auseinandersetzungen hatten wir andauernd, wöchentlich, monatlich, manchmal auch täglich. Und es war immer dasselbe. Einmal, als der Streit zwei Tage dauerte, hatte ich mir schon einen Auslandspass besorgt, aber dann – wieder eine halbe Aussprache, eine halbe Versöhnung, und ich blieb.»
XXI
«So stand es also zwischen uns, als dieser Mensch auftauchte. Er kam nach Moskau, dieser Mensch – Truchatschewski war sein Name -, und tauchte bei mir auf. Es war an einem Vormittag. Ich empfing ihn. Früher einmal hatten wir uns geduzt. Er versuchte, mit halbherzigen Formulierungen zwischen ‹Du› und ‹Sie› das ‹Du› zu retten, aber ich gab ein eindeutiges ‹Sie› vor, und er ordnete sich sofort unter. Er missfiel mir auf den ersten Blick. Doch es war seltsam – irgendeine seltsame, unwiderstehliche Macht brachte mich dazu, ihn nicht abzuweisen, nicht auf Abstand zu halten, sondern ihn im Gegenteil näher heranzuziehen. Was wäre schließlich einfacher gewesen, als ihn kühl zu empfangen und
wieder zu verabschieden, ohne ihn mit meiner Frau bekannt zu machen? Aber nein, ich brachte das Gespräch wie mit Absicht auf seine Musik und sagte, ich hätte gehört, er habe die Geige aufgegeben. Er sagte, im Gegenteil, er spiele mehr als früher. Ich sagte, dass ich selbst nicht mehr Klavier spielte, meine Frau spiele jedoch gut.
Es war erstaunlich! Mein Verhältnis zu ihm war vom ersten Tag, von der ersten Stunde an so, wie es eigentlich erst nach allem werden konnte, was später geschah. Es lag etwas Angespanntes in diesem Verhältnis: Ich achtete auf jedes Wort, jede Redewendung, die zwischen uns fiel, alles schien mir bedeutsam.
Ich stellte ihn meiner Frau vor. Das Gespräch kam sofort auf die Musik, und er erbot sich, mit ihr zu spielen. Meine Frau war, wie immer in dieser letzten Zeit, sehr elegant und verführerisch, beunruhigend schön. Er gefiel ihr offenbar auf den ersten Blick. Zudem freute sie sich, dass sie das Vergnügen haben würde, mit einem Geiger zu spielen – das tat sie sehr gern, gelegentlich engagierte sie dafür einen Musiker aus dem Theater -, und diese Freude malte sich auf ihrem Gesicht. Doch als ihr Blick auf mich fiel, begriff sie sofort, was ich empfand, und korrigierte ihren
Ausdruck – so begann das Spiel der gegenseitigen Täuschungen. Ich lächelte freundlich und tat, als wäre ich hocherfreut. Er betrachtete meine Frau, wie jeder Schürzenjäger eine schöne Frau betrachtet; dabei tat er, als interessiere ihn ausschließlich der Gegenstand des Gesprächs, der ihn in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr interessierte. Sie bemühte sich, gleichgültig zu wirken, doch das aufgesetzte Lächeln des Eifersüchtigen, das sie auf meinem Gesicht wiedererkannte, und Truchatschewskis
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