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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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lüsterner Blick versetzten sie offensichtlich in Aufregung. Ich sah, wie ihre Augen schon bei dieser ersten Begegnung einen eigentümlichen Glanz bekamen, und wie zwischen ihm und ihr – wahrscheinlich aufgrund meiner Eifersucht – eine Art elektrischer Strom zu fließen begann, der bei beiden dieselben Mienen, denselben Blick, dasselbe Lächeln hervorrief. Wenn sie errötete, errötete auch er, wenn sie lächelte, lächelte er mit. Wir sprachen über Musik, über Paris, über dies und das. Er erhob sich, um zu gehen, und stand dann lächelnd da, den Hut gegen den zuckenden Oberschenkel gedrückt, während sein Blick zwischen ihr und mir hin und her wanderte, als warte er ab, was wir tun würden. Ich erinnere mich genau an diesen Moment, denn hätte ich
damals davon abgesehen, ihn einzuladen, dann wäre das alles nicht passiert.
    Ich sah erst ihn an, dann sie. ‹Glaub nur nicht, ich wäre eifersüchtig›, sagte ich in Gedanken zu ihr, ‹oder du, ich hätte Angst vor dir›, sagte ich in Gedanken zu ihm, und so lud ich ihn ein, gelegentlich an einem Abend seine Geige mitzubringen und mit meiner Frau zu spielen. Sie warf mir einen erstaunten Blick zu, wurde flammend rot und wehrte scheinbar erschrocken ab: Sie spiele nicht gut genug. Ihre Weigerung reizte mich noch mehr, und ich wurde umso beharrlicher. Ich erinnere mich an das seltsame Gefühl, mit dem ich auf seinen Hinterkopf blickte, den weißen Nacken, der sich von den schwarzen, in der Mitte gescheitelten Haaren abhob, als er mit hüpfenden, irgendwie vogelartigen Schritten hinausging. Ich konnte mir nicht verhehlen, dass mich die Gegenwart dieses Menschen quälte. ‹Es liegt bei mir›, dachte ich, ‹es so einzurichten, dass ich ihn nie wieder sehe.› Aber damit hätte ich eingestanden, dass ich Angst vor ihm hatte. ‹Nein, ich habe keine Angst! Das wäre zu erniedrigend›, sagte ich mir. Und sofort, noch im Vorzimmer, wo meine Frau mich hören konnte, bestand ich darauf, er solle am selben Abend mit seiner Geige kommen. Er versprach es und ging.

    Am Abend erschien er mit der Geige, und sie spielten. Aber sie fanden lange nicht zueinander, sie hatten nicht die Noten, die sie brauchten, und die, die sie hatten, konnte meine Frau nicht ohne Vorbereitung spielen. Ich liebte die Musik und unterstützte die beiden, stellte ihm das Notenpult auf, blätterte um. Und schließlich fanden sie doch einige Stücke, irgendwelche Lieder ohne Worte und eine kleine Mozart-Sonate. Er spielte ausgezeichnet, er hatte im höchsten Maß das, was man einen schönen Ton nennt. Dazu kam ein feiner, vornehmer Geschmack, der gar nicht zu seinem Charakter passte.
    Natürlich war er meiner Frau deutlich überlegen, doch er half ihr und lobte zugleich höflich ihr Können. Er benahm sich vorbildlich. Meine Frau schien allein an der Musik interessiert und wirkte sehr ungezwungen und natürlich. Ich dagegen gab mich zwar auch an der Musik interessiert, litt aber den ganzen Abend hindurch unter meiner Eifersucht.
    Vom ersten Moment an, als sein Blick den meiner Frau traf, sah ich, wie das Tier in beiden an allen Konventionen von Stand und Gesellschaft vorbei fragte: ‹Darf ich?›, und die Antwort lautete: ‹O ja, bitte.› Ich sah, dass er keineswegs erwartet hatte, in meiner Gattin, einer
Moskauer Dame, eine so anziehende Frau zu finden, und dass er hocherfreut war. Denn dass sie einverstanden war, daran bestand für ihn keinerlei Zweifel. Die Frage war nur, wie man den lästigen Ehemann abschüttelte. Wäre ich selbst unschuldig gewesen, dann hätte ich das nicht so klar gesehen, aber wie die meisten hatte auch ich genauso über Frauen gedacht, solange ich nicht verheiratet war, darum las ich in ihm wie in einem offenen Buch. Besonders qualvoll war es, zu sehen, dass meine Frau für mich zweifellos nichts anderes mehr empfand als permanente Gereiztheit, die nur ab und zu von der gewohnten Sinnlichkeit durchbrochen wurde, während dieser Mensch – durch seine äußere Eleganz und Fremdheit, vor allem aber durch sein zweifelloses musikalisches Talent, durch die Nähe, die im gemeinsamen Musizieren entsteht, durch den Einfluss, den die Musik und gerade die Geige auf empfängliche Naturen ausübt – ihr nicht nur gefallen musste, sondern sie ohne Zweifel im Sturm erobern, überrennen, restlos besiegen musste, er würde sie drehen und wenden und mit ihr machen können, wie und was er wollte. Das sah ich vor mir, und ich litt entsetzlich. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb

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