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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Und wie immer bemüht, mich möglichst schmerzhaft zu treffen, rief sie mir mein Verhalten gegenüber meiner Schwester in Erinnerung (es ging um einen Vorfall, bei dem ich die Geduld verloren und meiner Schwester Grobheiten gesagt hatte; sie wusste, dass ich darunter litt, und setzte zielsicher ihre Stiche). ‹Seitdem wundert mich nichts mehr bei dir›, sagte sie.
    ‹Ja, das kannst du, mich beleidigen, demütigen, blamieren und mir am Ende noch die Schuld geben›, sagte ich im Stillen, und plötzlich packte mich eine so furchtbare Wut auf sie, wie ich sie noch nie empfunden hatte.
    Zum ersten Mal hatte ich das Bedürfnis, dieser Wut physisch Ausdruck zu verleihen. Ich sprang vom Sofa hoch und auf sie zu; ich weiß noch, dass mir meine Wut im selben Moment bewusst wurde und dass ich mich fragte, ob es richtig wäre, mich diesem Gefühl zu überlassen,
aber sofort antwortete ich mir, ja, das ist richtig, das wird ihr Angst machen, und statt der Wut zu widerstehen, begann ich auf der Stelle, sie noch mehr anzufachen, und freute mich daran, wie sie immer höher in mir loderte.
    Ich ging auf sie zu und packte sie am Arm. ‹Scher dich weg, oder ich bringe dich um!›, schrie ich. Dabei legte ich bewusst möglichst viel Hass in meine Stimme. Ich muss wohl furchteinflößend gewirkt haben, denn sie war so eingeschüchtert, dass sie nicht einmal hinausgehen konnte, sondern nur sagte: ‹Wassja, was hast du nur, was ist mit dir?›
    ‹Geh!›, brüllte ich noch lauter. ‹Niemand macht mich so rasend wie du! Ich übernehme keine Verantwortung für mich!›
    Ich ließ meiner Raserei nicht nur freien Lauf, ich berauschte mich an ihr; ich hatte Lust, etwas Ungewöhnliches zu tun, das den äußersten Grad dieser Raserei zeigen sollte. Ich hatte furchtbare Lust, sie zu schlagen, zu erschlagen, aber ich wusste, dass ich das nicht durfte, darum griff ich einen Briefbeschwerer vom Schreibtisch, schrie noch einmal: ‹Geh!›, und schleuderte ihn neben ihr zu Boden. Ich zielte sehr genau daneben. Darauf verließ sie das Zimmer, blieb aber an der Schwelle stehen. Schnell, solange sie mich
noch sah (denn all das tat ich, damit sie es sah), nahm ich weitere Dinge vom Schreibtisch, Kerzenhalter, ein Tintenfass, und warf sie auf den Boden, während ich immer weiter schrie: ‹Geh! Scher dich weg! Ich übernehme keine Verantwortung! ›
    Sie ging – und ich hörte sofort auf.
    Eine Stunde später kam die Kinderfrau und sagte, meine Frau habe einen hysterischen Anfall. Ich ging zu ihr, sie weinte, lachte, konnte nicht sprechen, Schauer liefen über ihren ganzen Körper. Sie verstellte sich nicht, sie war wirklich krank.
    Gegen Morgen beruhigte sie sich, und unter dem Einfluss jenes Gefühls, das wir Liebe nannten, versöhnten wir uns.
    Als ich ihr an diesem Morgen nach der Versöhnung gestand, ich sei auf Truchatschewski eifersüchtig gewesen, war sie kein bisschen verlegen, sondern fing aufrichtig zu lachen an. So abwegig erschien ihr, wie sie sagte, auch nur die Möglichkeit einer Schwärmerei für diesen Menschen.
    ‹Als könnte eine anständige Frau für einen solchen Menschen irgendetwas empfinden außer der Freude an der Musik! Wenn du willst, bin ich bereit, ihn nie wieder zu sehen. Auch
nicht am Sonntag, obwohl wir alle eingeladen haben. Schreib ihm, ich sei krank, und damit hat es sich. Das Einzige, was mir widerstrebt, ist, dass irgendwer – und vor allem er selbst – denken könnte, er wäre gefährlich. Das geht gegen meinen Stolz.›
    Und das war nicht gelogen, sie glaubte, was sie sagte; indem sie so redete, versuchte sie, sich selbst Verachtung für ihn einzuflößen und sich so vor ihm zu schützen, aber es gelang ihr nicht. Alles hatte sich gegen sie verschworen, besonders diese verfluchte Musik. Und so endete die Sache auch, am Sonntag kamen Gäste, und wieder spielten die beiden.»

XXIII
    «Ich brauche wohl nicht eigens zu sagen, dass ich sehr auf mein Ansehen bedacht war: Wer das bei uns nicht ist, für den hat das Leben keinen Sinn. An jenem Sonntag widmete ich mich mit Geschmack und Sorgfalt der Vorbereitung des Diners und des musikalischen Abends. Ich hatte selbst einiges für das Essen eingekauft und Gäste geladen.
    Gegen sechs trafen die Gäste ein, und auch
er erschien, im Frack, mit geschmacklosen, brillantbesetzten Manschettenknöpfen. Er gab sich nachlässig und antwortete auf alles vorschnell, mit einem verständnisinnigen, zustimmenden kleinen Lächeln, dieser Miene, wissen Sie, als entspreche alles,

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