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Kreuz des Südens

Kreuz des Südens

Titel: Kreuz des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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seinem Stuhl, den Kopf nach vorne gebeugt, als ob er geschlagen werden sollte. Seine Klassenkameraden rückten nervös mit den Stühlen und warteten auf die Klingel.
    »Nun«, brach Mrs. Grannis das Schweigen. »Morgen beginnen wir mit Aquarellen. Und vergesst nicht, jetzt gleich in der nächsten Stunde haben wir ein ganz besonderes Programm.«
    Henry Hamilton war der Star unter den Pitchern der Baseballmannschaft. Er hasste alles, was ihn nach 14 Uhr auf seinem Platz festhielt. Er zog eine Grimasse, flegelte sich auf seinen Stuhl und stöhnte laut. Eva Grecci stöhnte auch, denn sie hatte ein Auge auf Hamilton geworfen. Und Randy Weispfenning war ebenfalls nicht glücklich.
    »Es sind zwei hochrangige Polizisten da, die vom National Institute of Justice, dem NIJ, nach Richmond gekommen sind«, sagte Mrs. Grannis. »Sie haben sich dankenswerterweise bereit erklärt, heute mit uns zu diskutieren.«
    »Worüber?«
    »Straftaten, vermute ich«, sagte Mrs. Grannis. »Ich kann es schon nicht mehr hören.«
    »Ich auch nicht. Meine Mutter liest nicht mal mehr die Zeitung.«
    »Mein Vater meint, ich sollte in der Schule eine kugelsichere Weste tragen.« Hamilton lachte und duckte sich, als Weispfenning versuchte ihn zu boxen.
    »Das ist nicht lustig«, sagte Mrs. Grannis. Es läutete. Jeder sprang auf, als ob es brennen würde. »Auf zum Hexenmeister von Oz...«, sang Hamilton und begann, eine imaginäre Spielstraße entlangzulaufen. Eva Grecci lachte viel zu laut.
    »Weed«, sagte Mrs. Grannis. »Ich muss dich eine Minute sprechen.«
    Mürrisch schlich er an ihr Pult. Der Raum leerte sich, die beiden waren allein im Zimmer.
    »Das ist das erste Mal, dass du deine Hausaufgabe nicht gemacht hast«, sagte sie sanft. Er zuckte nur mit den Schultern. »Willst du mir nicht sagen warum?«
    »Darum.« Tränen glitzerten in seinen Augen.
    »Das ist kein Antwort, Weed.«
    Er blinzelte und sah weg. Gefühle kamen in ihm hoch. In einer Stunde sollte er Smoke auf dem Parkplatz treffen. »Ich habe es einfach nicht geschafft«, sagte er und dachte an seine fünf Seiten lange Geschichte in seinem Rucksack.
    »Ich bin sehr überrascht, dass du es nicht geschafft hast«, sagte sie sehr ruhig.
    Weed antwortete nicht. Den halben Samstag hatte er damit verbracht; hatte vier Entwürfe angefertigt, bevor er minutiös die Reinschrift mit schwarzer Tusche anfertigte, aus perfekt geformten Buchstaben, in der Kalligraphie, die er sich mit Hilfe eines Kastens beigebracht und dann in seinen kühnen, unnachahmlichen, funkigen Stil abgewandelt hatte. Das zweite Klingelzeichen ertönte.
    »Wir müssen los ins Auditorium«, sagte Mrs. Grannis.
    Er fühlte, wie sie in seinem Gesicht nach einem Hinweis forschte. Weed wusste, dass sie hoffte, der Kunstausschuss hätte keinen Fehler gemacht, indem er ihn an den höheren Weihen von Godwins Kunsterziehung teilhaben ließ.
    »Ich will keinen Cops zuhören«, sagte Weed.
    »Weed?« Es gab keine Diskussion. »Du setzt dich neben mich.«
    Brazil parkte seinen Streifenwagen auf dem Halbrund vor dem Eingang der High School. Obwohl er während der Fahrt noch permanent geschimpft hatte, freute er sich, in dieser Umgebung zu sein. Als er ausstieg, starrten ihn umherstehende Schüler und Schülerinnen an. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass sein hochgewachsenes, wie gemeißeltes uniformiertes Erscheinungsbild umwerfend aussah und dass die Aufmerksamkeit, die man ihm so oft entgegenbrachte, etwas damit zu tun haben könnte.
    Seine körperliche Existenz hatte er nie richtig wahrgenommen. Dies lag teilweise daran, dass er ein Einzelkind und der Gnade einer Mutter ausgeliefert war, die immer viel zu elend und schließlich zu betrunken gewesen war, um ihn als eigenständiges Lebewesen zu betrachten. Wenn sie ihn ansah, erkannte sie durch ihre trüben Augen nur ein verschwommenes Abbild ihres Mannes, den man getötet hatte, als Brazil zehn war. Es war Brazils verstorbener Vater, auf den sie einschrie, den sie schlug und anflehte, sie nicht zu verlassen.
    »Hast du eine Ahnung, wo wir hin müssen?«, fragte West und knallte die Autotür zu.
    Brazil schaute auf den Zettel, den Fling ihm gegeben hatte. »Rein und dann links«, las er vor.
    »Wo rein?«
    »Uh.« Brazil suchte nach weiteren Informationen. »Steht nicht da. Wir müssen durch Türen, geradeaus, bis zum grünen Gang, noch mal durch Türen, durch einen blauen Gang, bis wir ein Schwarzes Brett mit Fotos sehen.«
    »Verflucht«, sagte West, als sie

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