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Kreuz des Südens

Kreuz des Südens

Titel: Kreuz des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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erkennen, dass sein Versteck schlimmer roch als das Clubhaus der Hechte. Er dachte an sein hübsches Zuhause, das gute Essen und sein sauberes Bett.
    Weed würde nie zu seiner Mama zurückkehren. Er würde sie wahrscheinlich nie wieder sehen. Er würde auch nie wieder ein Wochenende mit seinem Vater verbringen, nicht, dass er das gewollt hätte. Aber es spielte keine Rolle. Weed würde wie Pigeon leben müssen, denn die Hechte würden ihn nicht aus den Augen lassen, und er würde nie wieder frei sein. Und falls er es je vergessen sollte, trug er eine Sklavennummer, die ihn daran erinnern würde. Pigeon wälzte sich rüber und schlug die Augen auf. Die Wirkung seines Biers schien verflossen. Er stopfte sich den Haufen dreckiger Klamotten zurecht, die ihm als Kissen dienten. Sein Gähnen war wie eine offene Mülltonne, Weed roch es aus zwei Metern Entfernung.
    »Bist du wach?«, fragte Weed.
    »Leider.«
    »Wieso lebst du so, Pigeon?«, fragte Weed. »Hast du schon immer so gelebt?«
    »Ich war mal ein kleines Kind wie du«, sagte Pigeon. »Wurde erwachsen und kämpfte in Vietnam. Kam nach Hause und wollte von nichts mehr was wissen.«
    »Wieso das?«
    »War eben so. Is immer noch so.«
    »Geht mir auch so«, sagte Weed. »Vielleicht häng ich ab jetzt mit dir rum.«
    »Den Teufel wirst du tun!« Pigeon sagte das in einem Ton, der Weed verblüffte. »Bist du jemals in einen Krieg geschickt worden, hast dir einen Fuß abschießen lassen, dazu den Teil einer Hand? Warst du schon mal im Irrenhaus, bis sie dich nicht mehr behalten konnten und dich auf die Straße setzten? Hast du mal im tiefsten Winter auf dem Bürgersteig geschlafen, mit nur einer Zeitung als Decke? Hast du schon jemals Ratten gefressen?«
    Weed war entsetzt. »Hat man dir wirklich den Fuß abgeschossen?«
    Pigeon hob sein rechtes Bein und zeigte seinen Stumpf. Weed konnte ihn nicht genau sehen, weil er von einem Socken verhüllt war, und es war immer noch ziemlich dunkel.
    »Wieso warst du im Irrenhaus?«, rückte Weed mit der für ihn wichtigsten Frage raus und hatte schon Bedenken, ob er wirklich bei Pigeon bleiben wollte.
    »Verrrrrrrückt.« Pigeon schüttelte sich und verdrehte die Augen.
    »Bist du gar nicht.«
    Weed dachte an den Zaun, und ob er wohl schnell genug wieder drüber käme.
    »Doch, bin ich schon. Manchmal sehe ich Sachen, die gar nicht da sind. Besonders in der Nacht. Leute, die mich angreifen, mit Messern, Pistolen. Abgeschnittene Arme, Beine, überall Blut. Es gibt alle möglichen Namen dafür, aber am Ende ist es egal, Weed. Egal, wie du was nennst, es bleibt doch immer dieselbe Sache.«
    Pigeon fischte sich eine neue Zigarettenkippe aus der Tasche. Als er sie anzündete, sah Weed die versehrte Hand. Alles, was noch davon übrig war, war ein Stummel des Zeigefingers und der Daumen.
    »Wovor läufst du davon?«, fragte Pigeon. »Wer sagt, dass ich davonlaufe?« »Ich.« »Na und?«
    »Sind die Cops hinter dir her?«, fragte Pigeon. »Kannst es mir ruhig sagen, Junge, hinter mir waren sie auch schon mal her.«
    »Und wenn's so wäre?«, sagte Weed.
    »Hm.« Pigeon stieß den Rauch aus, sein Atem pfiff in der Dunkelheit. »Jemand ist hinter dir her, das ist klar. Möchte wetten, es ist irgendein anderer Junge. Hast ihm vielleicht Drogen geklaut, oder was?«
    »Hab ich nicht! Hab noch nie Drogen gesehen. Er ist nur sauer, weil ich nicht gemacht hab, was er wollte.«
    »Wie sauer? So, dass er dir richtig übel will?« Tränen traten in Weeds Augen. Er wischte sie weg und hoffte, Pigeon würde sie nicht sehen.
    »Bestimmt einer von diesen ganz schlimmen Jungs, die die Leute abknallen, einfach nur so«, fuhr Pigeon fort. »'ne ganz neue Sorte. Sie kommen damit sogar noch durch. Meistens.«
    Weeds Wut brannte in seiner Seele, genauso wie der Zigarettenfilter Pigeons Lippen verbrannte. Pigeon schnippte ihn fort und schien enttäuscht.
    »Diese Kids sind schlimmer, als was ich in Vietnam gesehen habe. Weißt du, Bomben am ganzen Körper festgeschnallt. He, schön dich zu treffen. KABOOM!«, erzählte Pigeon. »Da drüben hatten wir wenigstens einen Grund. Mann, das war nicht lustig, sag ich dir.«
    »Er hat mir schon mehr als einmal wehgetan«, platzte es aus Weed heraus. »Er hat mich gezwungen, Mitglied in seiner Gang zu werden, und hat mir den Finger tätowiert, obwohl ich es nicht wollte, und jetzt geh ich nicht zur Schule und hab den Kunstunterricht versäumt und die letzten beiden Bandproben. Und er weiß, wo ich wohne, und egal, wo

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