Kreuzberg
die sich in
Berlin für einen neuen Hauptstadtflughafen stark machten, waren vor allem
Lobbyisten aus der Finanzwelt und der Bauindustrie. Sie witterten neue Aufträge
und fette Geschäfte zu Lasten des Steuerzahlers und setzten die Mär von der
Notwendigkeit eines Berliner Großflughafens in die Welt. Ein richtiges
Luftverkehrsdrehkreuz müsse her, als Hauptstadt habe Berlin so etwas bitter
nötig. Und sie würden diesen Blödsinn so oft wiederholen, bis sie ihren Willen
bekämen, da war sich Hünerbein sicher.
Er stoppte
seinen Mercedes vor dem Check-in-Schalter A 7 und stieg aus. Das Boarding für
den Flug nach London war bereits abgeschlossen, doch Hünerbein schaffte es
unter Einsatz seiner Körperfülle und der steten Vorlage seines Dienstausweises
noch auf die Fluggastbrücke und von dort aus in die McDonnell Douglas DC -10
der British Airways nach London.
Cemir und
Orhan Misirlioglu saßen in der Economy Class auf der rechten Seite am Fenster
und sahen interessiert hinaus. Sie bemerkten Hünerbein gar nicht. Neben ihnen,
am Gang der Mittelsitzreihe, hockte Ayse und studierte aufmerksam das Faltblatt
zur Benutzung der Schwimmweste. Dieses Rettungsmittel fand Hünerbein
ausgesprochen drollig. Immerhin befand man sich an Bord eines Flugzeugs. Wenn
sie wenigstens Fallschirme unter den Sitzen deponiert hätten. Aber
Schwimmwesten?
Neben Ayse
war im ansonsten voll besetzten Flieger noch ein Platz frei. Hünerbein
vermutete, dass er ursprünglich für Fatma vorgesehen gewesen war. Er nahm dort
Platz und gab eines seiner beliebten Churchill-Zitate von sich.
»Uns
zivilisierten Menschen ist es zwar gelungen, das Raubtier in uns auszuschalten,
nicht aber den Esel.«
»Den Esel
führt man nur einmal aufs Eis«, antwortete Ayse mit einem türkischen Sprichwort
und sah ihn an. »Was machen Sie hier?«
»Das sollte
ich Sie fragen.«
Ayse
schmunzelte. »Wonach sieht es denn aus?«
»Sie
fliehen.« Hünerbein ignorierte die Ansage, sich anzuschnallen. »Vor Ihrem Mann,
nehme ich an.«
»Wenn Sie
nicht mitfliegen wollen, sollten Sie besser aussteigen.«
»Das tue
ich auch«, erwiderte Hünerbein. »Aber erst sagen Sie mir, wo Ihre Tochter Fatma
steckt.«
»Ich habe
keine Ahnung.«
»Ich bitte
Sie«, wurde Hünerbein laut. »Kommen Sie mir nicht wieder mit der Entführung!
Dann würden Sie nicht nach London abhauen. Keine Mutter lässt ihre Tochter im
Stich. Schon gar nicht, wenn diese sich in Gefahr befindet.«
»Aber Fatma
ist nicht in Gefahr«, mischte sich Cemir ein. »Alles gut mit ihr, wirklich.«
»Ach! Auf
einmal? Und was sollte dann das ganze Theater mit der Entführung?«
»Das war
kein Theater«, versicherte sein Bruder, »wir haben wirklich geglaubt, sie sei
entführt. Das war alles so echt, so real! Aber sie hat uns gelinkt, Alter!
Total gelinkt!«
»Haben Sie
davon gewusst?«, wandte sich Hünerbein an Ayse.
»Nein. Aber
gestern kam sie plötzlich nach Hause.« Ayse seufzte. »Sie hatte das alles nur
vorgetäuscht und wollte nicht, dass wir wegen ihr das Flugzeug verpassen.«
Die
Maschine setzte sich langsam in Bewegung und wurde vom Flugsteig weggedreht.
»Sie
sollten jetzt besser gehen!«
»Stimmt.«
Hünerbein erhob sich. »Eines noch: Wo steckt Fatma jetzt?«
»Ich weiß
es nicht!«
»Wirklich
nicht?«
»Nein.«
Hünerbein
sah die Söhne streng an. »Und ihr wisst es auch nicht?«
»Wir haben
keinen Schimmer, Alter!« Cemir und Orhan schüttelten einträchtig die Köpfe.
»Fatma macht immer, was sie will.«
Das
Flugzeug rollte jetzt in Richtung Rollbahn.
»Moment
noch«, rief Hünerbein und eilte nach vorn. »Ich muss erst raus!«
Die
Stewardessen sahen ihn verblüfft an.
»Ich fliege
nicht mit«, erklärte Hünerbein. »Würden Sie mich bitte aussteigen lassen?«
»Aber wir
starten gleich.« Die Stewardessen lächelten. »Gehen Sie wieder auf Ihren Platz
und schnallen Sie sich an.«
»Verstehen
Sie nicht? Ich fliege nicht mit!« Hünerbein wedelte mit seinem Dienstausweis.
»Ich bin Beamter, ich habe hier nur eine Ermittlung durchgeführt. Sie müssen
mich rauslassen!«
»Das geht
jetzt nicht mehr.«
Die
Triebwerke fingen an zu heulen.
»Bitte
machen Sie keinen Ärger.« Die Stewardessen schoben ihn wieder in die Kabine
zurück. »Es ist alles in Ordnung.«
Die nehmen
mich nicht ernst, dachte Hünerbein mit zunehmender Verzweiflung. Die denken,
ich spinne. Aber ich spinne nicht.
»Ich bin
deutscher Beamter«, rief er noch einmal. »Mein Platz ist in Berlin!«
»Wir
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